Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
Vom Netzwerk:
Fairness der Zahlen. Zwei und zwei gibt immer vier.
    In meiner Erinnerung beherrscht ein aggressives Licht das Geschehen in diesen Sekunden. Farbschlieren tanzen an den Rändern der Bilder. Fliegende Fetzen aus unwahrscheinlichen Handlungen, Geschichten aus einem Wunderland aus Glas und Blättern, Erzählungen aus einer Welt hinter der Grenze. Hannes und ich hatten uns an einen Ort verirrt, der so weit von der Realität entfernt war, dass es sich um nichts anderes mehr handeln konnte als um die Wirklichkeit selbst. Wir waren angekommen.
    Vom Knacken des Unterholzes begleitet, trat erneut der Hirsch durch die Bäume. Noch immer so erhaben, noch immer stolz, doch diesmal mit dem entschlossenen Gang des Zorns, eine Erinnerung an eine alte Schuld. Der Hauptmann, der Don Juan die Hand reichte, der kam, um einzufordern, was ihm zustand. Unter dem Blick des Hirschen schien Hannes’ Herrschaft zu bröckeln.
    Und genau in dieses Machtvakuum schwappte – Zufall Nummer drei – wieder eine kleine Bewegung hinein. Wie so oft in dieser Woche lenkte eine kleine Bewegung den Lauf der Geschehnisse um. Plötzlich zuckte der Sack. Einmal. Zweimal. Ich riss die Augen auf. Es war, als wäre plötzlich eine Statue zum Leben erwacht, als hätte sich eine Tür zu einer zweiten Welt geöffnet, einer zweiten Welt hinter den Dingen. Hannes durchfuhr ein solcher Schreck, dass seine Hand die Pfeife losließ. Und obwohl ich genauso geschockt war wie er, fühlte ich, wie unter der Überraschung ein tierischer Instinkt erwachte. Hinter den Dingen lag eine Welt, in der ich nicht mehr denken musste, um zu handeln. Die Handlung suchte sich mich aus. Ich verstand, dass der Moment gekommen war, eine Entscheidung zu treffen, eine endgültige Entscheidung, einen letzten Schritt. Ich konnte mich ergeben, oder ich konnte handeln. Die Entscheidung traf sich von selbst. In diesem Moment war nur noch eine Handlung möglich. Ich spürte den Reflex in meinen Arm fahren. Ich schnappte und riss Hannes die Pfeife vom Hals. Die Bewegung erfolgte so ruckartig, dass sie mich selbst im Arm schmerzte. Ich warf mich nach hinten und blies hinein. Kein Ton. Die Hunde drehten sich und fixierten gehorsam die Pfeife. Hannes stand da wie ein entthronter Herrscher. Ein Weltreich brach in seinem Gesicht zusammen, Denkmäler zerfielen zu Staub und die Kuppeln monströser Paläste begruben ihre eigenen Herren. Ich zeigte mit einem zitternden Zeigefinger auf Hannes. Blies in die Pfeife. Das Schweigen würde sich über Hannes legen und nicht über mich. Ich gab den Hunden einen letzten Befehl. Kein Ton. Kein Ton.
    Kein Ton.
    Die Hunde sprangen auf Hannes, als wäre er ihnen vollkommen unbekannt. Jeder ihrer Muskeln war blinder Gehorsam, jeder Biss blanke Disziplin. Die Dressur war unerbittlich. Die Hunde kannten nur eine unendliche Hörigkeit, die keine Fragen stellte und jedem zur freien Verfügung stand. Jeder, der sich diese Gewalt zu Nutze machen wollte, konnte es tun. Für die Hunde gab es kein Gewissen. Sie waren nicht mehr als Werkzeuge der Macht. Und die Macht war ich.
    In meiner Erinnerung haben sich nur die Bilder der Szene gehalten. Der Ton ist verklebt vom Morgennebel. In meiner Erinnerung bäumt sich Hannes lautlos auf. Es muss ein tobender Lärm gewesen sein. Sicher waren Schreie zu hören, Geräusche vom Schnappen der Hunde. Doch in meiner Erinnerung spielt sich Hannes’ Ende wie unter einer schalldichten Glasglocke ab. Hinter der Scheibe verzerrt sich der Kampf, die Dimensionen verschieben sich. Und kein Ton dringt nach draußen, nur im Inneren tobt das Farbenspiel des Balletts der Henker, der Tanz der Hunde, die den eigenen Herrn zu Tode beißen.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange es dauerte, ich weiß nicht mehr, wie lange ich zusah, die Pfeife wie eine erschöpfte Zunge in den Mundwinkel geklebt. Während die zuckenden Leiber vor mir den Boden aufwühlten, saß ich apathisch da. Ich bewegte mich nicht mehr als nötig. Ich blinzelte. Ich schottete mich ab. Ich schloss die Augen.
    Als ich sie wieder öffnete, saßen die Hunde stolz neben dem Körper.
    In dem Moment, als ich auf sie zuging, kehrte der Ton wieder zum Bild zurück. Das Hecheln war wieder da, wie ein Betteln nach Anerkennung. Die Geräusche des Waldes waren wieder da, wie das zufriedene Murmeln einer befriedigten Rache. Trotzdem blieb eine unüberwindbare Wand bestehen, zwischen mir und diesem blutigen Tryptichon. Garm und Anubis, die Leo und Hannes flankierten. Sie bewachten den Eingang zu einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher