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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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liefern würde. Mein Kopf steckte genauso in der Schlinge. Hannes würde nicht alleine untergehen. Er würde mich umbringen, um seine Haut zu retten. Und selbst wenn es mir gelänge, die Polizei zu rufen, würde er mich als Drahtzieher anschwärzen. Welchen Weg ich auch wählte, es würde weh tun.
    Ich fragte mich, ob ich noch einmal an eine Menschlichkeit appellieren sollte, von der ich nicht mehr glaubte, dass es sie noch gab.
    „Hannes, hast du eigentlich so etwas wie ein Gewissen? Realisierst du überhaupt, was passiert ist? Schau genau hin! Weißt du, wer da liegt?“ Ich wies auf Leo. Meine Stimme zitterte, ich räusperte mich. Ich dachte daran, dass er sich stets für Hannes die Finger schmutzig gemacht hatte. Dass es immer Hannes gewesen war, der ihn an die Front geschickt hatte, der profitiert hatte. Hannes hatte immer im Hintergrund agiert – als Auftraggeber, als Besteller, als Kunde. Ich suchte in Hannes’ Gesicht nach einem Zeichen von Reue, von Mitgefühl. Etwas, das verriet, dass er noch immer ein Mensch war, einen Beweis dafür, dass er verstand, was er Leo schuldig war. Doch in diesem Gesicht war nichts. Nur ein Hauch von Hysterie. Nur die Wut eines angeschlagenen Tigers, der sich verteidigte.
    „Er ist doch selber schuld!“, schrie Hannes. „Er hätte doch nur warten müssen! Jetzt wäre sie so weit. Bei ihr hat es einfach etwas später gewirkt! Er hätte nur warten müssen, dieser Idiot!“ Hannes’ Gesicht blieb wie versteinert. In seinen Zügen war nichts zu lesen. Vielleicht, weil da einfach nichts war. Keine Emotionen. Nur ein berechnendes Loch.
    „Hannes, du kannst ihn nicht im Wald verscharren“, sagte ich, „das ist kein Hase. Das war ein Freund.“
    „Freund? Hier geht’s doch schon lang nicht mehr um Freundschaft. Hier geht’s darum, dass wir bis zum Hals in der Scheiße stecken“, zischte er und wies dabei auf Leo. „Ihm kann ja jetzt eindeutig nichts mehr passieren.“
    „Du bist der größte Egoist, den ich kenne.“
    „Und du bist der größte Klugscheißer, den ich kenne. Willst du dich jetzt als Moralapostel aufspielen? Fühlst du dich wie einer der Gerechten? Dann fühl dich allein. Zum Teufel, denk einmal logisch! Er muss weg. Hier braucht es Lösungen, keine Theorien! Vergiss Freundschaften, vergiss Moral“, brüllte Hannes, „es gibt nur Herren und Hunde. Und wenn der Hund stirbt, muss er weg. Ich spucke auf ihn. Es macht ihm nichts mehr aus. Aber ich geh sicher nicht mit ihm unter. Also ab mit ihm ins Auto!“
    Seine Hand wies befehlend auf den Körper. Seine Augen brannten. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen. Es war das erste Mal, dass ich Hannes’ Hand zittern sah. Ich verglich diesen Menschen mit dem Bild, das ich noch Tage zuvor von ihm gehabt hatte. Der König hatte seine Krone abgenommen. Doch ohne sie war er nun nicht einmal mehr ein Mensch. Hannes war ein Tier. Ein Leviathan. Ein alles vernichtendes Monster.
    Unter meinem Daumen fühlte ich die Ziffern der Notrufnummer. Die Tastentöne piepten. Als hätte ihn ein Schuss aufgeschreckt, fuhr Hannes’ Hand zu seinem Hals, suchte nach der Kette.
    „Ich hetz die Hunde auf dich.“
    Die Wähltaste piepte. Hannes’ Hand fuhr ins Leere. Mein Kopf fuhr herum, Hannes dachte im selben Moment daran, neben Bélisa und Maria lag sein Hemd. In den Falten blitzte das Silber der Kette. Wie auf Kommando stürzten wir beide los, hechteten über das Sofa, meine Hand wühlte sich in die Falten. Hannes erwischte die Kette, ich fühlte die Pfeife zwischen meinen Fingern. Und es pumpte. Das Blut pumpte. Das Blut rauschte heiß über die Kälte des Metalls hinweg. Wir richteten uns auf, kämpften uns aneinander hoch, wo mein Körper den Boden berührte, wo mein Körper Hannes berührte, dort spürte ich das Blut pochen, ich hielt das Telefon immer noch in der rechten Hand, es brannte auf meiner Handfläche, meine Linke verkrampfte sich um die Pfeife. Ich sah das Weiß in Hannes’ Augen, blinder Hass bewegte seinen Arm. Seine Faust traf mich schutzlos. Ich sah noch, wie er zu einem weiteren Schlag ausholte, als mir schwarz vor Augen wurde. Eine Woge der Entspannung fuhr mir durch die Glieder. Meine Muskeln wurden matt, in den Sehnen spürte ich die Melancholie des letzten Aufbäumens, das schon von der Niederlage wusste. Und im Pochen des Schlages spürte ich das Echo meiner Hand, die sich langsam und resignierend öffnete. Die Pfeife fiel ins Schwarz der Ohnmacht. Ich wusste, ich hatte verloren. K.o. Clean Fun. Von
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