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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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schaffe ich neue Lügen, neue spiegelnde Illusionen und Brechungen meiner eigenen Vergangenheit. Ich bin nicht mehr sicher, ob das, was ich mir selbst erzähle, noch meine wirklichen Erinnerungen sind. Trotzdem müssen Sie dieser Erzählung glauben. Auf der anderen Seite: Glauben Sie wirklich an Wunder?
    Der erste Zufall also: das Radio. Hannes schaltete es ein, und ein Radiosprecher berichtete vom Rücktritt des Parteichefs. Hannes’ Vater hatte sein Amt freiwillig niedergelegt. Hannes zeigte keine Regung. Die Stimme, die nun aus dem Radio kam, füllte das Auto aus. Die Aufnahme war blechern. Der Parteichef klang müde. Ein leichtes Timbre in der Stimme verriet seinen Zustand. Er sprach, als müsste er sich mühsam fassen.
    Die Angelegenheit, über die er gestolpert sei, erfülle ihn mit Scham, sagte Hannes’ Vater. Sein politisches Ziel sei es immer gewesen, ehrenvoll zu handeln. Dieses Ziel habe er verfehlt. Leider sei es nicht das ehrenvolle Amt allein, das aus einem einen ehrenvollen Mann mache. Die eigenen Handlungen müssten den Aufgaben gerecht werden, sagte Hannes’ Vater.
    Der Parteichef hatte kaum den Satz beendet, als Hannes den Sender wechselte. Autosuchlauf. Auf der Anzeige liefen die Frequenzen durch. Gleichzeitig ging eine kleine, kaum wahrnehmbare Erschütterung durch Hannes. 90 Megahertz, zuerst dachte ich, dass er weinte. Ungläubig sah ich zu ihm. 95 Megahertz, die Erschütterungen nahmen zu. Ich beugte mich leicht nach vorn, um Hannes’ Gesicht besser sehen zu können. 100 Megahertz, und das Lachen brach aus ihm hervor wie ein Sommergewitter aus den Wolken. Hannes lachte so donnernd, wie ich ihn noch nie hatte lachen hören. Dieses Lachen war nicht mehr nur ein Ausdruck von Belustigung. Dieses Lachen war eine Geste. Es begrub seinen Vater, mich und selbst Leo unter sich. Mit diesem Lachen schwang sich Hannes zum Olymp auf. Und dort wollte er nicht nur einer der Götter sein. Nein, er war Herrscher der Götter, weil er über alle anderen nur noch lachte.
    „Ehre“, kicherte Hannes, „in welcher Zeit lebt dieses Fossil eigentlich? Weißt du, warum alles zum Teufel gehen wird, diese gesamte Gesellschaft? Weil das gesamte System von Mythen verseucht ist. Die Filme, das Radio, das Fernsehen, die Bücher …, alle erzählen sie ständig dieselbe abgelutschte Geschichte vom großen Helden, dem edlen Ritter, der sich jauchzend für sein Ideal in den Tod stürzt. Und die Menschen nehmen die Schädeldecke ab, knien nieder und lassen sich bereitwillig das Hirn waschen. Die sind auch noch glücklich in dieser Märchenwelt, erzählen sich die Geschichten immer wieder, immer weiter. Hin und wieder mischt man ein bisschen Ironie dazu, damit alles wieder besser runtergeht, damit sich niemand mehr wehren kann gegen den Mythos vom Helden.
    Das nimmt kein Ende! Das pflanzt sich unaufhaltsam fort, das schlägt Wurzeln und verzweigt sich. Und jetzt sitzt das System fest, in einem riesigen Geäst aus vorgetäuschter Ehre und gekünstelter Ehrlichkeit. Genauso wie er.“ Hannes deutete auf das Radio.
    „Mein politisches Ziel ist es immer gewesen, ehrenvoll zu handeln“, äffte Hannes seinen Vater nach. „Dass ich nicht lache! Sein politisches Ziel war immer, sich selbst Vorteile zu verschaffen – das ist das Ziel aller Menschen, es will nur niemand mehr zugeben, weil man damit eventuell gegen das heilige Gesetz der heilen Märchenwelt verstoßen könnte.“
    Wir führten eine Leiche im Kofferraum spazieren und Hannes sprach von Moral. Ich hätte ihn erwürgen können. Alles herausquetschen: die Selbstgefälligkeit, die Überheblichkeit und die überragende Selbstsicherheit. Doch ich tat es nicht. Ich war kein Held. Ich war kein Ritter.
    „Nur weil du keine Moral kennst, heißt es nicht, dass es sie nicht gibt“, presste ich hervor.
    Hannes sah mich kurz an, dann kicherte er wieder los.
    „Du bist genauso verblendet wie alle anderen auch. Du verstehst es einfach nicht. Niemand versteht es. Dabei wäre es eigentlich einfach. Die Moral ist nur ein billiger Schutzschild, um im Hintergrund das zu tun, was man will. Dann kannst du von der Fassade profitieren und unter dem sicheren Dach deine eigenen Gesetze aufstellen. Unter dem Mantel des Schweigens sind die Möglichkeiten vielseitiger. Und genau dorthin werden wir auch das Ding im Kofferraum verfrachten.“
    Er hatte Leos Namen absichtlich vermieden. Für ihn hatte er schon jetzt keinen Namen mehr. Meine Fingerknochen traten weiß durch die Haut.
    „Sie
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