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Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)

Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)

Titel: Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
Autoren: Erica O'Rourke
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Kapitel 1
    Ich erwachte beim Geruch von Lysol pünktlich zum Weltuntergang. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich damals noch nicht wusste, dass es der Weltuntergang war. Ich wusste nichts, und das war auch besser so. Es hat seinen Grund, dass man sagt, Unwissenheit mache selig.
    Der Raum sah aus wie jede beschissene Notaufnahme, die ich je im Fernsehen gesehen hatte, mit dem bemerkenswerten Unterschied, dass ich darin lag– hellblaue Vorhänge anstelle von Wänden und rollende Versorgungsschränkchen, die mit schwarzem Filzstift und Kreppband gekennzeichnet waren, eine Zimmerdecke mit Wasserflecken auf den Schalldämmplatten und flackernden Neonlichtern. Die Wanduhr zeigte 00:38 nachts, und die Notaufnahme ging gerade in Nachtbetrieb; das Klappern und die Geschäftigkeit waren deutlich durch die Vorhänge zu hören, die mich auf drei Seiten umgaben.
    Ich mühte mich ab, mich in dem Krankenhausbett aufzusetzen, aber das erwies sich als schlechte Idee, und ich sackte mit einem Keuchen wieder zurück. Der Schmerz war überall und brandete in Wellen durch meinen Körper wie der Michigansee bei Sturm, und das Zimmer wurde an den Rändern tintenschwarz. Ich versuchte, Atem zu holen, ohne zu wimmern; es gelang mir nicht.
    Es kam nicht infrage, mich zu bewegen, und das Atmen erschien mir auch riskant, aber ich musste Verity finden. Wenn ich hier war, war sie auch hier, und es ging ihr schlechter als mir. Daran zumindest erinnerte ich mich.
    Wirbelndes Schwarz stößt herab wie Raben, groß genug, um den Schein der Straßenlaternen und Neon-Ladenschilder zu verdecken. Ein dumpfes Grollen setzt ein, wie ein Zug der Chicagoer L-Bahn, ein fernes Dröhnen, das lauter wird, als es näher kommt, bis es direkt über einem ist und man es in der Brust spürt, nur, dass es nicht an einem vorübergeht. Verity, bleich im Gesicht und mit flackernden Augen, stößt mich weg, ruft durch das Getöse: » Lauf, Mo! Lauf schon, verdammt!« Und dann ein Schrei, und als ich zu mir komme, liegt sie am Boden, der kupfrige Gestank von Blut und Furcht erfüllt die Luft, meine Hände sind bis an die Ellbogen rot verschmiert. » Durchhalten, Vee, geh nicht, geh ja nicht, irgendwer, bitte, Gott, hilf uns, bitte geh nicht …«
    » Keine Besucher, bevor der Arzt sie freigegeben hat«, sagte eine Frau auf dem Gang und brachte mich schlagartig in die Notaufnahme zurück. Zwei Paar Beine standen vor meinem Zimmer; die Füße und Unterschenkel waren unter dem Saum des Vorhangs hindurch zu sehen. Links standen eine rosafarbene Schwesterntracht und weiße Nikes, rechts dunkelblaue Hosen und abgestoßene, robuste schwarze Schuhe. » Außerdem ist sie noch bewusstlos.«
    Ohne nachzudenken, schloss ich die Augen. Der Vorhang raschelte und klatschte dann, als sei er aufgerissen und wieder geschlossen worden. » Jetzt zufrieden?«, fragte Rosa Schwesterntracht verärgert. » Sie wird bald aufwachen. Ich sage Ihnen dann Bescheid.«
    » Haben Sie die andere gesehen?«, fragte Blaue Hose mit einem heiseren South-Side-Akzent. Ihre Stimmen wurden leiser, als sie davongingen.
    Ich öffnete die Augen und strengte mich an, sie zu hören. Rosa Schwesterntracht war still.
    Er sprach erneut. » Siebzehn Jahre alt. Siebzehn. Der Kerl läuft noch frei herum. Und Sie wollen, dass ich hier herumsitze, während er das wieder jemandem antut? Einem anderen jungen Mädchen?«
    Verity. Sie war hier, und die beiden wussten, wo. Ich ignorierte die Schmerzen in meiner Schulter, setzte mich langsam, ganz langsam auf und biss mir fest auf die Unterlippe, um nicht aufzuschreien. Eine schwarze Plastikklammer saß auf meinem Finger, und Drähte führten zu einem blinkenden Monitor nahebei. Wenn ich die Klammer abnahm, würden sie wissen, dass ich wach war, und Blaue Hose würde mit mir sprechen wollen. Ich musste aber erst einmal mit Verity sprechen.
    Die Erinnerung an sie schnürte mir die Kehle zu. Eine Minute lang konnte ich nur meine Hand anstarren, die mit mehreren Schichten Mull verbunden war. Weiter oben auf meinem Arm waren rostfarbene Streifen eingetrocknet und aufs weiße Bettlaken gebröckelt. Der Anblick ließ mir übel werden, und ich rieb mit einer Ecke der Bettdecke, bis die Spuren größtenteils verschwunden waren. Dann ließ ich ein Bein über die Bettkante hängen und hatte vor, den Monitor auf dem Rollwagen mitzuziehen, als eine Stimme in der Nähe schleppend sagte: » Das tust du jetzt besser nicht.«
    Mein Kopf fuhr herum. Erneut umfing mich verschwommene
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