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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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Davor
    Im Nachhinein ist es vollkommen klar. Diese kaum wahrnehmbare Bewegung. Immer wieder taucht sie nun im Kopf auf, im Nachhinein hätte ich sie blind ausführen können. Dieses Zucken in der Hand. Ich sehe es aus allen Perspektiven. Es flammt auf unter dem Blitz aus dem Strobo, zeigt auf, entlädt sich und geht wieder unter. Jedes Mal verschwindet das Bild im Dunkeln. Denn es ist die Eigenschaft dieser kleinen Bewegung, dass sie unterdrückt und nicht wahrgenommen wurde.
    Heute will ich diese Bewegung sehen. Ich will sie verstehen. Doch damals sah ich nichts mehr. Und nicht nur ich. Niemand sah mehr hin. Denn eigentlich interessierte es uns nicht mehr. Eigentlich zog alles nur wahllos vorbei. Eigentlich bekamst du das meiste sowieso nicht mehr mit. Es gingen Lichter an und aus, es gingen Sonnen auf und unter. Es war eigentlich nichts Besonderes;
without you
, nothing
falls apart
, nichts mehr einzigartig, alles eher eintönig. Und dann fingst du an dir einzubilden, alles würde immer weiterlaufen, sich ständig gleichförmig wiederholen. Du ergabst dich dem Strom. Und so pumpte es, klopfte es, gärte. Die Welt war zeitverzögert, Ereignisse erreichten das Hirn nur mit Verspätung, ein ewiges Déjà-vu in Endlosschleife. Es war ein Wettrennen: Wahrnehmung gegen Realität, die Wahrnehmung stets einen Schritt hinterher.
    Doch was soll’s.
Everything falls apart
und es pumpt, es pumpt, es pum-pumpt, wie in einem Club, bei lauter Musik. Schlägt sich einem um die Ohren wie die Nacht, die Musik. Denn wahrscheinlich hast du nur zu viel getrunken –
you, the perfect drug
–, suchst kurz Halt an der Wand, während eine bunte Masse an dir vorbeischwimmt –
you disappear
– in der Masse, die nur noch aus farbigen Flecken besteht –
lose control
– in der Masse aus Musik, die dich stützt, die dir Halt gibt, dich trägt. Sie hält dich zusammen, hält dich am Laufen –
your body’s moving, on its own
. Und würdest du jetzt die Hand ausstrecken, um nach den Leuten zu greifen, würde sich unter deinen Fingern noch immer etwas regen. Aber es interessiert dich nicht mehr. Deine Hand pendelt weiter an deiner Seite, im Takt mit dem Beat. Und alles ignorierst du, alles Einbahnstraße –
You corruptor! Everytimer!
– alles Durchfahrtsmodus, alle Bewegungen unwichtig, außer deinen eigenen. Weil es pumpt, pumpt, pumpt, noch stärker, und alles sich verwischt hinter der Pastellkreide: Vollgas.
    Wen interessieren stille Töne. Zum Teufel mit der kleinen Regung! –
CHANGE MY PICTURE, FIRESTARTER!
– nur die große Geste bleibt noch hängen. Was zu klein ist, um sich einzuprägen, geht unter. In dieser Zeit ist es die Eigenschaft von kleinen Bewegungen, dass man sie nicht aufnehmen kann. Man blendet sie aus. Sie sind nur dunkle Flecken in der Masse. Soll doch alles außer Reichweite rutschen! –
Cause we can do, with some more poison
.
    Doch es kommt der Punkt, an dem deine Sicht wieder klar wird. Durchblick wie springende Scheiben. Momente, in denen du kurz an die Oberfläche gespuckt wirst –
breath the pressure!
– zum Luftschnappen. Die Musik wird stumm und deine Ohren taub, alles wallt auf in dir, die Augen klirren unter dem Druck. Dein abgestandenes Bier bekommt Angst vor der Musik, und der Bass scheppert durch den Becher, bis du mit ihm zitterst und bebst. Und mittendrin rücken sich die Kleinigkeiten plötzlich wieder ins Bild. Pumpen sich dir in den Kopf.
    Es pumpt an der Bühne, auf den Brettern aus verdrecktem Holz, wo dein Blick sich in den Schatten verfängt und hängen bleibt. Der DJ namens Augenblick schickt den Flanger drüber, die Musik spaltet sich auf, die Spuren verschieben sich in der Zeit, nehmen Einbahnstraßen und vereinen sich zu einem Sound wie aus dem Inneren einer Tonne.
    Verlagerung der Aufmerksamkeit des Erzählers ins Innere: Das bin ja ich! Hier! Dreh die Lautstärke hoch, in dir drin! Außerhalb von dir selbst hört das nämlich niemand! Meine Damen und Herren: Das ist unberührter Boden hier drin! Du bist der erste Mensch auf dem Mond! Vor dir liegt der endlos unberührte Staub! Doch in der Ferne zeichnen sich Spuren ab. Nur du siehst etwas, niemand sonst, niemand sonst bekommt es mit. Die Scheinwerfer werfen ihr Licht gegen ein Hindernis, ein Schatten schält sich aus ihnen, und ein schmaler Lichtstreifen drückt sich in die Bühnenkante. Du wirst Zeuge, wie sich eine Ameise langsam die Kante entlangarbeitet. Sie versucht ihren Weg zu finden, wagt sich weder an die Kante noch in den
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