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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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hier an Mattscheibe.

Sonntag
    Im ersten Moment wusste ich nicht, wo ich war. Erst langsam setzte die Erinnerung wieder ein, die Ereignisse ordneten sich. Ich stemmte mich unter einem Stöhnen hoch, meine Ellbogen zitterten unter meinem eigenen Gewicht, mit leicht abgewinkelten Armen versuchte ich meinen Körper daran zu hindern, wieder auf den Boden zurückzusinken. Ich zog meine Beine hoch, setzte erst einen Fuß auf die Erde, dann den zweiten. Mein Kopf hing matt herab, kurz schlich sich die Ohnmacht noch einmal an. Ich kämpfte sie zurück, musste mich konzentrieren, um weiter zu atmen. Ich kam mir vor wie ein geschlagener Hund; zitternd stand ich auf vier unsicheren Beinen.
    Als die Schwärze verflog, hob ich den Kopf. Ein Bein gab kurz nach, mein Knie setzte am Boden auf. Ich drehte den Kopf, war geblendet, obwohl durch die Fenster nur ein schwaches Schimmern drang. Hannes stand am Fenster, Panik breitete sich in mir aus, als ich sah, wie er in die Pfeife stieß. Ich hörte das Klirren der Halsbänder, die Hunde setzten sich ihm zu Füßen. Vor ihm lag Leo.
    „Reicht dir das jetzt?“, fragte Hannes. Ich antwortete nur mit einem Krächzen. Mehr schaffte ich nicht. Hannes’ Ton wurde eisig: „Steh auf und hilf mir, ihn ins Auto zu tragen.“
    Ich kämpfte mich auf die Beine. Die Mädchen schliefen. Hannes sah mich fordernd an. Durch das Fenster hinter ihm schien der Vollmond. Doch am Horizont dämmerte es bereits.
    Hannes warf mir eine Rolle schwarzer Müllsäcke vor die Füße. Die Hunde sahen mich über Leos Leiche hinweg interessiert an, Speichel tropfte ihnen aus den Mäulern. Ich tappte auf Leo zu. Ich zweifelte, ob ich mich noch aus der Affäre ziehen konnte. Vielleicht, wenn ich ein Held gewesen wäre. Doch ich spürte nur meine Unterlegenheit. Alles fühlte sich wund an: Die Platzwunde an der Braue schmerzte, genauso wie der Gedanke, verloren zu haben. Und ich hatte Angst – pure, ruhmlose Angst.
    Als ich einen Sack von der Rolle abriss, hätte ich mich übergeben können. Mit Galle im Mund schüttelte ich den Sack auf. Dann nahm ich Leos Beine in die Hand. Ich zog das Plastik an seinem Körper hoch. Das PVC raschelte leise. Hannes drückte mir Gewebeband in die Hand, ich klebte den Sack zu und zog ihn aus dem Wohnzimmer hinaus in die Garage. Hannes folgte mir, öffnete den Kofferraum seines Autos, und ich hievte den Körper hinein. Hannes griff währenddessen nach einer Schaufel, die in der Ecke der Garage lehnte, und warf sie achtlos auf den Sack. Der Stiel klatschte kalt auf das Plastik.
    Als ich die Beifahrertür öffnete, pfiff mich Hannes zurück. Er deutete wortlos auf den Rücksitz. Nachdem ich eingestiegen war, scheuchte er die Hunde hinein, die sich pflichtbewusst rechts und links von mir niederließen. Sie sahen mich hechelnd von der Seite an, als lachten sie mir hämisch ins Gesicht.
    Hannes drehte den Zündschlüssel um. Vor uns öffnete sich das Garagentor. Dahinter lag ein letzter Rest der Nacht. Als der Wagen in die Dunkelheit hinausrollte, schien es mir, als führen wir nicht ins Freie, sondern in eine Höhle.
    Meine Erinnerung an die Fahrt ist bestimmt von den bleiernen Schatten, die alles überdeckten. Das Zwielicht fraß die Farben auf. Das Auto fuhr durch dieses Halbdunkel wie an einer unscharfen Grenze entlang. Der Horizont verschwamm im Dunst.
    Es waren nur wenige Autos auf den Straßen unterwegs, trotzdem fuhr Hannes vorsichtig. Erst als wir die Stadt verließen, fand er seinen üblichen Stil wieder und drückte aufs Gas. In einer Kurve bildete ich mir ein, den Körper im Kofferraum rumpeln zu hören. Auch Hannes schien es gehört zu haben. Er schaltete das Radio ein und drehte die Lautstärke hoch.
    Und hier begannen die unerklärlichen Zufälle. Oder sollte ich sagen: die Wunder. Auf einmal schlich sich eine Reihe von kleinen Wendungen in den Lauf der Dinge ein, allesamt so realitätsfern, dass mir nun nicht mehr klar ist, ob ich sie erlebt habe oder ob sie mir die Angst vorgegaukelt hat. Vielleicht war ich eingeschlafen und träumte mit offenen Augen. Vielleicht hatte sich der Traum wie ein Virus in die Handlung eingespeist und begann nun langsam, sie aus der Bahn zu werfen. Es war, als gäbe es plötzlich eine unsichtbare Macht, die die Handlung neu ordnete und nach neuen Gesetzen weiterspann. Wenn ich jetzt diese Stunden erzähle, glaube ich mir selbst kaum. So als hätte ich die Spielregeln geändert und vertuschte die Tatsachen, anstatt sie offenzulegen. Mit jedem Wort
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