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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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weitergegangen.
    Es fällt mir schwer, diese Szene zu erzählen. Die ganze Zeit suche ich in mir nach einer Reaktion, die Leos gebrochenem Genick angemessen wäre. Doch ich finde nur diese Erleichterung. Ich konnte endlich akzeptieren, dass ich nicht mehr Teil dieses Rudels war und es auch niemals hätte sein dürfen. Nach allem, was ich an diesem Abend, in jener Woche erlebt hatte, fragte ich mich, ob ich Hannes und Leo jemals gekannt haben konnte. Ob es nicht einfach zwei Figuren aus einem alten Buch waren, zwei Schauspieler auf einem abgenutzten Video, zu denen ich keine Beziehung hatte. Der Film war gesehen, der Buchdeckel geschlossen, ich hatte ihre Handlungen registriert, jetzt würde das Leben weitergehen und in geregelte Bahnen zurückfinden. Zumindest hoffte ich das zu diesem Zeitpunkt. Doch das Stück war noch nicht zu Ende. Es fehlte noch die Zugabe.

    Hannes fluchte unkontrolliert, ein ungläubiges Lamento aus Schimpfwörtern. Aufgeregt drehte er seine Runden, ein frisch gefangener Tiger in einem neuen Käfig. Er fauchte die Gitterstäbe an. Offensichtlich war er nicht bestürzt, vielmehr verärgert, dass erneut etwas seine Planung durchkreuzt hatte. Er dachte schon nicht mehr an das Problem, sondern bereits über mögliche Lösungen nach. Hannes kannte wirklich kein Pardon. Ich war nicht sicher, wie ich mit ihm umgehen sollte. Ich sah Hannes an.
    „Wir brauchen einen Krankenwagen“, sagte ich. Flehte ich fast. Das war der erste Satz seit Langem, den ich wirklich gemeint hatte. Zum ersten Mal sprach ich mit einer eigenen Stimme.
    „Ich seh hier keinen Kranken“, zischte Hannes säuerlich. Er kniff die Augen zusammen, fasste sich.
    „Er muss weg. Schnell. Mein Vater darf das nicht erfahren.“
    „Bist du übergeschnappt?“, fuhr ich hoch.
    „Was glaubst du, was mein Vater dazu sagen wird? Wenn hier einer mit gebrochenem Hals aus dem Haus getragen wird? Wir sind hier nicht irgendwo.“
    „Aber es war … ein Unfall“, erwiderte ich und wusste gleichzeitig, dass es in diesem Moment wohl kaum ein unpassenderes Wort gegeben hätte. Vielleicht wollte ich Hannes beruhigen, auch wenn ich mich fragte, warum. Ich lieferte ihm eine Entschuldigung für den Abend. Als hätte man ihm zu Unrecht etwas angetan. Als läge er verletzt vor mir wie ein unschuldiges Tier.
    Hannes brauste auf: „Hier gibt es keine Unfälle! Verstehst du das? In deiner Welt vielleicht! Hier nicht!“
    In mir kochte eine Suppe aus Verwirrung und Hass, die knapp davor war, überzugehen. Schon wieder spürte ich das Verlangen, Hannes einfach totzuprügeln. Jeder Muskel in meinem Körper spannte sich an.
    „Als ob dir irgendetwas passieren könnte. Dein Vater vertuscht doch sogar das“, stieß ich durch die Zähne hervor.
    Hannes lachte gehässig auf.
    „Und danach? Weißt du, was dann passiert? Danach bin ich die Leiche hier im Haus! Dann kann ich mich hier drinnen einmauern! Das ist das Ende des schönen Lebens hier! Wenn irgendjemand spitzkriegt, was hier gelaufen ist, dann gehen wir beide unter!“ Hannes sagte „wir beide“, auch wenn es dabei nur um ihn ging.
    „Es war ein Unfall“, sagte ich noch einmal, leiser, weil ich den Satz selbst hören wollte – weil ich mich selbst davon überzeugen wollte, dass er wahr war.
    „Bist du eigentlich wirklich so beschränkt?“, fragte Hannes, „Wenn hier der Krankenwagen vorfährt, was willst du dann erzählen? Die Wahrheit? Dass irgendeine Schnepfe im Rohypnolrausch ihrem Vergewaltiger das Genick gebrochen hat?“
    Im Hintergrund kicherte Bélisa. Ich hätte gerne mitgelacht.
    „Oder willst du lügen?“, fragte Hannes zynisch. „Dann denk dir lieber schnell eine Geschichte aus. Und erzähl sie mir, die könnte mich nämlich auch interessieren!“
    Ich sah das Mobiltelefon auf dem Tisch liegen.
    „Hannes, wir brauchen einen Krankenwagen“, sagte ich nachdrücklich.
    „Einen Dreck brauchen wir!“, schrie er und machte einige schnelle Schritte auf mich zu. Ich wich zurück.
    „Nein, der muss ganz einfach weg“, sagte Hannes, den Blick auf meine Stirn geheftet, als könnte er dort die Worte ablesen. Seine Pupillen hüpften unruhig. „Wir schaffen ihn hier weg.“
    „Hannes, spinnst du?“ Ich packte ihn an der Schulter. „Ruf jetzt den Krankenwagen, oder muss ich es machen?“ Hannes stieß mich energisch von sich. Sein Zeigefinger flog wie ein Speer auf mich zu.
    „Du tust hier gar nichts“, zischte er. „Du hilfst mir, ihn verschwinden zu lassen.“
    „Und die
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