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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman
Autoren: Carla Federico
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Prolog
    CHILE, 1880
    D u hast dich also entschieden, Elisa. Du liebst Cornelius.«
    Nur zögerlich kamen Poldi die Worte über die Lippen. Sie waren ein paar Schritte gegangen und hatten eine kleine Anhöhe erreicht, von der aus man den ganzen Llanquihue-See überblicken konnte.
    Elisa sagte nichts, sondern strich sich schweigend das Haar aus dem Gesicht. Es war nicht mehr glänzend rotbraun, sondern spröde und von grauen Strähnen durchzogen, tanzte aber immer noch so ungebärdig im Wind wie in lang vergangenen Jugendtagen.
    Sie fühlte, dass Poldi sie von der Seite betrachtete, aber sie erwiderte seinen Blick nicht, sondern starrte hinaus auf den See.
    Wie ein riesiges Fünfeck lag er vor ihnen: inmitten saftig grüner Wiesen und Gärten, goldgelber Ackerstreifen und dunkler Wälder, an deren sumpfigen Rändern die roten Copihue-Blumen erblühten. Der von den Anden abfallende Wind kräuselte die Oberfläche des Wassers, und dort, wo die verglühende Abendsonne die Wellen am Ufer traf, leuchtete es golden auf. An manchen Stellen reichten bizarre Landzungen tief in den See; an anderen spiegelte er die Felswände, die schroff und steil aus den Fluten aufzusteigen schienen; an wieder anderen schloss das grüne Kleid des Ufers nahtlos an das kräftige Blau des Wassers an.
    In der Ferne erhoben sich die Berge: So klar war die Luft, dass man nicht nur die Vulkane Calbuco und Casa Blanca sehen konnte, sondern auch die vielgliedrige Andenkette, aus der der Cerro Tronador einsam gen Himmel ragte.
    Der höchste der Feuerberge war jedoch der Osorno, zu dem Elisa in den letzten Jahrzehnten oft sehnsüchtig, ehrfürchtig oder ratsuchend hochgeblickt hatte. Manchmal schien er ihr zu grollen und versteckte sich hinter dichten Nebelwolken; dann wiederum zeigte er sich ihr in all seiner Pracht und stolzen Größe, unverwüstlich und unverrückbar wie ihr Wille, sich das Land zu eigen zu machen – und stets erhaben über Verzagtheit, Kummer und Furcht, die das Leben der deutschen Siedler nicht selten verdüstert hatten.
    Nichts davon fühlte sie nun – nur diesen tiefen Respekt vor der Schönheit und Wildheit des Landes und Stolz auf das, was sie geschaffen hatten.
    Ihr Blick glitt zu den Häusern der Siedlung. Anders als die flachen chilenischen Patios besaßen diese mit Alerce-Schindeln bedeckte Giebeldächer und Balkone. Die Wände waren, wie auch die der Scheunen und Ställe, der Vorratskammern und der Arbeitsschuppen, aus dem Holz der Araukarie errichtet – jener mächtigen Baumriesen, die bis heute den See säumten und deren Harz einen durchdringenden Duft verströmte. Elisa sog ihn ein und glaubte, die harte Rinde unter ihren längst verhornten Händen zu fühlen – wie einst in den mühevollen Tagen, in denen sie die Bäume gefällt und dem dampfend-feuchten Urwald fruchtbares Land abgerungen hatten.
    Langsam drehte sie sich zu Poldi um.
    »Wir haben so viel erreicht«, sagte Elisa leise. »Wir haben einen so langen Weg zurückgelegt.«
    »Weißt du noch … damals im Hamburger Hafen, als wir beide …« Poldi brachte den Satz nicht zu Ende, sondern kicherte los. Auch in seinem Gesicht hatte die Zeit Spuren hinterlassen, doch der Klang seiner Stimme erinnerte Elisa an den frechen Knaben von einst.
    Er ist dabei gewesen, ging ihr durch den Kopf, von Anfang an, auch damals, als ich Cornelius zum ersten Mal traf …
    Aus dem Jugendfreund, der sie vor vielen Jahren auf der langen Reise nach Chile aufgemuntert und belustigt hatte, war später ihr Schwager geworden. Oft hatten sie Seite an Seite zusammen gearbeitet, um das urwüchsige Land zu bezähmen, aber es hatte auch Jahre gegeben, da die eigenen Nöte und Sorgen derart von ihr Besitz ergriffen hatten, dass sie zu wenig nach seinen gefragt hatte.
    Jetzt war sie dankbar, dass sie mit ihm, der ihr oft wie ein kleiner Bruder gewesen war, hier stehen und Abschied nehmen konnte.
    Poldi kicherte wieder. »Beinahe hätten wir das Schiff verpasst!«
    Sie nickte, stimmte kurz in sein Lachen ein, wurde jedoch gleich wieder ernst. »Wir haben viel zu selten innegehalten, zurückgesehen, der Vergangenheit gedacht.«
    Bilder stiegen vor ihr auf, Bilder eines harten Lebens und eines reichen, voller Mühsal, aber auch Willensstärke, voller Entbehrungen, aber auch vieler kleiner Errungenschaften.
    Nicht immer hatte sie das bekommen, was sie sich gewünscht hatte, und doch war ihr Leben erfüllt gewesen: von reichlich Arbeit, reichlich Sorgen, reichlich Triumph. Und was an Glück
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