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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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war keine Rettung. Ich würde mein eigenes Grab schaufeln.
    Vor uns war ein Hirsch durch die Bäume getreten. Er setzte seine Schritte bedächtig, fixierte uns mit ruhigem Blick, in dem einerseits Verständnis und andererseits wortlose Anklage zu lesen waren. Der Hirsch trat noch etwas näher, reckte dann das Geweih in die Höhe und verharrte. Der Anblick war majestätisch. Wie verästelte Blitze hob sich das Geweih gegen den Himmel ab. Vorwurfsvoll starrte er, als hätten wir ein altes Gebot verletzt und sein Heiligtum besudelt. Ich hatte Angst vor den Hunden gehabt, doch die Furcht, die ich nun empfand, war ungleich größer. Als hätte man mir gerade eine Bestrafung aufgezeigt, die mich selbst nach dem Tod noch verfolgen würde.
    Hanners jedoch ließ sich davon nicht beeindrucken. Ich hörte zweimal ein kurzes Zischen. Hannes blies in die Pfeife, seine Hand wies auf den Hirschen. Die Hunde rannten los, der Hirsch bäumte sich lautlos auf, wandte den Kopf, sein Geweih machte langsam die Drehung mit. Er galoppierte zurück durch die Bäume, zuerst auf die Lichtung, dann aus dem Blick. Hannes blies erneut in die Pfeife, er hatte bemerkt, dass mit den Hunden seine Waffen verschwanden. Die Rottweiler kehrten gehorsam zurück an seine Seite.
    „Ein andermal vielleicht“, versprach er seinen Hunden. Dann deutete er auf die Schaufel, wieder grub ich. Der schmale Hoffnungsschimmer war hinter den Bäumen verschwunden.
    „Tiefer“, sagte Hannes.
    Ich stellte mir Hannes’ Gesicht am Boden vor, wie sich Steine zu seinen Augen verformten, wie die Kontur seines Kopfes unter den Spatenstichen entstand. Ich rammte den Spaten mit jedem Mal brutaler in diesen Golem. Ich durchtrennte ihm den Hals, hackte nach den Armen. In den Kuhlen glitzerte die Erde. Feuchtigkeit versickerte schmatzend im Boden. Das Grab schien sich in unmenschlicher Geschwindigkeit zu schaufeln. Die Erde wich vor mir zurück wie Sand in einem Stundenglas, floss durch ein Loch ins Erdinnere. Als ich aufhörte, hatte ich jedes Gefühl für Zeit verloren. Ich bemerkte, dass das Grab auf jeden Fall tief genug für zwei Körper war. Hannes quittierte es mit einem Grinsen.
    Er zeigte auf den Sack, ich griff danach und zerrte ihn in die Grube. Dabei fiel mein Blick wieder auf die dünne Kette um Hannes’ Hals. Die Pfeife pendelte lautlos hin und her, wie ein Entschluss, der noch nicht gefasst worden war. Hannes hob die Hand, langsam, jeder Zentimeter der Bewegung stand für eine Sekunde, in der er sich überlegte, ob er die Pfeife einsetzen sollte oder nicht. Der Wald um uns war still. Ich hörte mein eigenes Atmen. Hannes war nur eine Armlänge von mir entfernt. Meine Hand berührte noch immer das Plastik, die Erde klumpte an meinen Fingern. Mir wurde bewusst, dass ich vor Hannes kniete wie ein Ritter vor dem Ritterschlag. Ich kniete wie jemand, der sich unterwarf. Ich kniete vor dem Sieger der Partie. Ich verharrte versteinert in dieser Pose, wie vor einem Altar, in andächtiger Stille.
    Und schließlich beschloss der Herrscher, den Daumen nach unten zu drehen. Hannes’ Hand bewegte sich. Er fuhr zur Pfeife. Ich war ein Mitwisser. Und Hannes war entschlossen, sich hinter dem Mantel des Schweigens zu verstecken. Ich war nicht sicher, ob es etwas zu sagen gegeben hätte. Etwas, um ihn zurückzuhalten. Ich hätte meine ewige Verschwiegenheit versprechen können. Ich hätte mich zu Hannes’ Ritter machen lassen müssen, Hannes die Treue schwören. Vielleicht hätte ich mich auf diese Weise retten können. Doch der Preis wäre meine Zustimmung gewesen. Diesen letzten Rest Ehre würde ich mir bewahren. Deshalb stützte ich die Hände an meinem Knie ab und richtete mich langsam an mir selbst auf. Die Unruhe in mir multiplizierte sich mit der Ruhe im Wald, ich hörte keine Vögel mehr, ich hörte kein Rascheln von Blättern, ich hörte nichts, nichts außer das Rauschen meines eigenen Blutes in meinen Ohren, das Zischen in verengten Adern, das sich langsam steigerte, in meinem Kopf zirkulierte und nach einem Weg suchte, das Unaufhaltsame abzuwenden.
    Da brach plötzlich das Knacken eines Astes in die Stille ein. Ich schreckte hoch wie aus einem tiefen Schlaf, Hannes’ Kopf flog zur Seite. Erschrocken entkam ihm ein ungläubiger Seufzer. Ich hätte gerne gewusst, welcher Ausdruck in Hannes’ Gesicht stand. Heute glaube ich, dass es Angst war. Angst vor der Rache. Angst vor der Gerechtigkeit, an die er nie hatte glauben wollen. Die Panik vor der verlässlichen
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