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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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werden ihn suchen“, sagte ich, „das weißt du genau. Und dann wird dir keine Fassade der Welt mehr etwas nützen. Ganz egal, was du von Moral hältst, dann bist du der Schuldige, in welchem System auch immer.“
    Ich fand mich selbst pathetisch. Doch die Worte kamen ohne Kontrolle, sie stiegen einfach in mir hoch.
    Hannes blieb vollkommen ruhig. Er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein, nun, da wir im Auto saßen.
    „Ja, das sagt der weiße, edle Ritter. Du täuschst dich. Niemand wird ihn suchen. Der hatte doch keine Familie außer mir. Gib zu, du nennst ihn Freund und weißt nicht, woher er eigentlich kommt. Ich war der letzte Mensch, der sich mit ihm beschäftigt hat. Niemand wird ihn vermissen. Und selbst wenn irgendjemand Fragen stellen sollte: Niemand erinnert sich an diesen Abend. Nur wir beide.“
    „Und wenn ich nicht schweige?“, fragte ich, obwohl ich mir selbst die Antwort geben konnte.
    Hannes sah mich an, als hätte ich einen dümmlichen Witz gemacht. Neben mir hechelten die Hunde, und ich verstand, dass dort, wohin wir fuhren, keine Antworten mehr nötig waren.

    Hannes lenkte den Wagen auf den ungepflasterten Weg. Ich kannte das Waldstück, wir waren schon einmal hier gewesen. Diesmal stellte er den Wagen jedoch nicht am selben Fleck ab wie zuletzt. Stattdessen fuhr er das Auto über eine kleine Forststraße weiter hinein in den Wald. Als der Weg beinahe unbefahrbar wurde, stoppte er den Wagen. Noch immer war die Sonne nicht aufgegangen, der Wald lag still im Dämmerlicht da. Hannes stieg aus und öffnete mir die Tür. Der erste Hund sprang aus dem Wagen. Ich folgte mit dem zweiten. Hannes machte den Kofferraum auf und befahl mir, die Leiche herauszuholen.
    „Trag ihn“, sagte er. „Ich will nicht, dass wir eine Schleifspur ziehen.“
    Ich hob den Sack dort hoch, wo ich Leos Arme vermutete, und versuchte ihn auf meine Schulter zu wuchten. Leo schien nur aus Haut und Knochen zu bestehen, trotzdem hingen seine Arme und Beine nun schwer an mir herab. Ich ächzte, als ich den Körper hochstemmte. Hannes holte die Schaufel aus dem Kofferraum, schloss den Deckel und bedeutete mir, ihm zu folgen. Er führte mich in den Wald hinein, so zielstrebig, als kennte er jeden Winkel. Die Hunde folgten aufgeregt. Über uns hing ein Baldachin aus Blättern und wild gekreuzten Ästen. Die Vegetation wurde zunehmend dichter. Hannes brach dennoch mühelos durch eine Gruppe von Büschen. Dahinter blieb er stehen und rammte die Schaufel in die Erde.
    „Hier“, sagte er. Ich legte den Körper ab und sah mich um. Einige Meter weiter zeichnete sich eine Lichtung ab. Hannes stieß mich an und deutete auf die Schaufel. Da nahm ich plötzlich eine Bewegung wahr.
    Zufall Nummer zwei. Wieder ein Wunder.
    Auf der Lichtung hatte sich etwas bewegt. Es war nicht mehr als ein huschender Schatten gewesen, doch ich war sicher, dass wir nicht alleine waren. Ich hoffte es zumindest. Ich wünschte mir irgendeinen Menschen herbei. Irgendjemanden, der um diese Zeit in diesem Wald unterwegs sein konnte. Ein Jogger, ein Jäger, egal wer.
    Ich betete, dass Hannes nichts bemerkt hatte. Er stieß mich erneut an. Ich biss die Zähne zusammen und gehorchte.
    Der erste Spatenstich klang wie ein Axthieb. Mein ganzer Körper war taub, die Ameisen rannten unter meiner Haut. Alles in mir wehrte sich gegen das Geschehen. Gleichzeitig blinkte die Bewegung in den Bäumen in meinem Hinterkopf wie das rettende Licht eines Leuchtturms. Was auch immer sich dort verbarg, ich hoffte, dass es immer noch da war und uns entdecken würde. Doch plötzlich sah ich, wie Hannes’ Körper sich anspannte. Ich verstand, dass auch er nun bemerkt hatte, dass wir beobachtet wurden. Hannes suchte die Lichtung ab. Sein Körper hatte wieder die gespannte Haltung des Jägers angenommen. Ich drehte mich um und folgte seinem Blick. Ich hatte recht gehabt. Wir waren tatsächlich nicht allein.
    Was ich sah, traf mich wie ein Pfeil. Ich fühlte mich erschüttert, hoffnungslos und doch berührt. Das Schauspiel war einzigartig und anmutig. Es war, als käme ich für einige Momente ganz nah an etwas Ewiges heran, an etwas Hehres und Reines, das über uns allen stand; über mir, über Hannes, über Leo. Ich hätte mir gewünscht, dass dies tatsächlich ein heiliger Ort gewesen wäre, weiß und offen, ein Ort, der keine Zeit kannte, weil er vergessen hatte, was Zeit bedeutete. Doch stattdessen machte mir der Anblick klar, dass meine Zeit immer kürzer wurde. Die Rettung
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