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Hueter Der Macht

Hueter Der Macht

Titel: Hueter Der Macht
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siebzig Jahren hatte kein Papst mehr in Rom seine Wohnstatt aufgeschlagen, und nur einer hatte der Stadt einmal einen flüchtigen Besuch abgestattet – viele Jahre, bevor Gerardo die Verantwortung für die Porta del Popolo übernommen hatte.
    Also starrte er den Mann nur verblüfft an, blinzelnd wie ein Kind mit verwirrtem Verstand, bis einer der Soldaten des Gefolges befahl, für Seine Heiligkeit Papst Gregor XI. Platz zu machen. Noch immer schlaftrunken, war Gerardo gehorsam aus dem Weg geschlurft und hatte zugesehen, wie der Papst, fünfzehn oder sechzehn Kardinäle und verschiedene Würdenträger der päpstlichen Kurie, Soldaten, Söldner, Geistliche, Mönche, allgemeine Gefolgsleute, acht von Pferden gezogene Wagen und mehrere Dutzend beladene Maultiere unter leisen Gebeten, Gesängen und in schwere Weihrauchwolken gehüllt, mit Gewändern aus dunkelroter und violetter Seide angetan, die in der Morgensonne glänzte, in Rom einzogen.
    Nicht einer in dieser prächtigen Kavalkade hatte daran gedacht, dem Torhüter eine Münze zu geben, und Gerardo war so verdattert gewesen, dass er ganz vergessen hatte, darum zu bitten.
    Stattdessen hatte er mit der Hand am Tor dagestanden und der Prozession hinterhergeblickt, die die Straße hinunter verschwand.
    Innerhalb einer Stunde war ganz Rom in Aufruhr.
    Der Papst war heimgekehrt! Zurückgekehrt aus der schrecklichen babylonischen Gefangenschaft in Avignon, in der die verräterischen französischen Könige siebzig Jahre lang mehrere Päpste gehalten hatten. Der Papst war heimgekehrt!
    Menschenmassen drängten sich durch die Straßen und strömten über die Engelsbrücke in die Leostadt und weiter hinauf bis zum Petersdom. Dort wandte sich Gregor zwar von der Reise erschöpft, aber dennoch ungebrochen, mit wahrhaft päpstlicher, volltönender Stimme an die Menge, tadelte sie für ihre Sünden und mahnte sie zur Reue… und forderte sie auf, ihre Steuern und Zehnten zu bezahlen, die sie in den letzten siebzig Jahren schuldig geblieben waren. Und obgleich Gregor behauptete, er sei nach Rom zurückgekehrt, um endlich dem üblen Einfluss des französischen Königs zu entkommen, wussten die Römer es besser: Der Papst hatte es auf ihre Steuern abgesehen, und die konnte er nur erhalten, wenn er selbst in Rom residierte.
    Und deshalb wollten sich die Menschen nicht so leicht zufriedengeben. Sie wollten eine Sicherheit dafür, dass der Papst sich nicht im selben Moment wieder durch das Tor davonmachte, wenn sie nach Hause und an ihre Arbeit zurückgekehrt waren. Sie brüllten noch lauter und kamen bedrohlich näher. Fäuste wurden in die Luft gestreckt und Drohungen ausgestoßen. Dieser Papst würde in Rom bleiben, wo er hingehörte.
    Der Papst fügte sich (seine Kardinäle waren schon lange in die Sicherheit des Petersdoms geflüchtet). Er versprach zu bleiben und legte einen Schwur ab, dass der Papst von nun an seinen Wohnsitz wieder in Rom haben würde.
    Die Menge beruhigte sich und jubelte. Innerhalb einer Stunde kehrten die Menschen in ihre Häuser und Werkstätten zurück, nicht um ihr Tagewerk zu beginnen, sondern um den ganzen Tag zu feiern.
    Gerardo seufzte und schlurfte näher an das Tor heran. Er hatte an diesem Tag zu viel von dem verfluchten sauren korsischen Roten getrunken – so wie der Großteil der Bevölkerung Roms, von denen manche immer noch durch die Straßen zogen oder vor den Mauern der Leostadt standen, deren Tore schon vor vielen Stunden geschlossen worden waren –, und er konnte es kaum erwarten, das verdammte Tor zu schließen und in sein warmes Bett und zu seiner Frau zurückzukehren.
    Er griff nach einem der Torflügel und zog ihn bedächtig zu, bis er die Riegel im Boden versenken konnte. Als er sich dem anderen Torflügel zuwandte, bemerkte er in der Dämmerung eine Bewegung. Gerardo blickte in die Richtung und fluchte leise.
    In nicht allzu großer Entfernung näherte sich der Stadt ein Mann auf einem Maultier. Gerardo hätte dem Mann das Tor vor der Nase zugeschlagen, wenn dieser nicht den schwarzen Umhang mit Kapuze über dem weißen Gewand eines dominikanischen Mönchs getragen hätte. Wenn es eine Geistlichkeit gab, die Gerardo nicht verärgern wollte, dann waren es die Dominikaner.
    Zu viele der verdammten Dominikaner waren Inquisitoren – und jene, die es nicht waren, wollten es gerne sein –, und Gerardo wollte ungern über einem Feuer geröstet werden und eines langsamen Todes sterben, weil er einen dieser Hurensöhne verärgert
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