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Hueter Der Macht

Hueter Der Macht

Titel: Hueter Der Macht
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hatte.
    Schlimmer noch, Gerardo konnte dem Mönch nicht einmal die übliche Münze für das Passieren des Tors abverlangen. Die Geistlichkeit sah sich über solche trivialen Dinge erhaben, wie einen Torhüter für seine Dienste zu entlohnen.
    Also hüpfte er in der heranrückenden Dämmerung und frostigen Luft von einem Bein aufs andere, fluchte im Geist vor sich hin und wartete darauf, dass der Mönch endlich durch das Tor ritt.
    Der arme Kerl sah durchgefroren aus, das musste Gerardo ihm zugutehalten. Dominikaner trugen einfache Kleidung, und während der Umhang über dem Gewand den Körper des Mannes warm halten mochte, steckten seine Füße in Sandalen, die sie der Kälte des Winters schutzlos aussetzten. Als der Mönch näher herangekommen war, konnte Gerardo sehen, dass seine Hände, die den Strick am Halfter des Maultiers umklammert hielten, weiß waren und zitterten und sein Gesicht unter der Kapuze seines schwarzen Umhangs verfroren und blau aussah.
    Gerardo neigte respektvoll den Kopf.
    »Willkommen, Bruder«, murmelte er, als der Mönch bei ihm war. Ich wette, der frömmlerische Hund wird heute Nacht eine Menge Wein saufen, dachte er.
    Der Mönch brachte sein Maultier zum Stehen, und Gerardo blickte auf.
    »Könnt Ihr mir den Weg zum Konvent Sant’ Angelo weisen?«, fragte der Mönch in makellosem Latein.
    Er hatte einen merkwürdigen Akzent, und Gerardo runzelte die Stirn, während er versuchte, ihn einzuordnen. Er war nicht römisch und auch nicht der unbeholfene deutsche Akzent, den so viele Kaufleute und Bankiers sprachen, die durch das Tor kamen. Und mit Sicherheit waren es auch nicht die hohen, flötenden Töne dieser französischen Mistkerle. Er betrachtete das Gesicht des Mannes genauer. Der Mönch war etwa achtundzwanzig oder neunundzwanzig Jahre alt und sein Gesicht glich eher dem eines Soldaten als dem eines Geistlichen: Wangen und Stirn wirkten hart und kantig, kurzes schwarzes Haar kam unter dem Rand seiner Kapuze hervor, und über dem dunklen Stoppelbart des Reisenden befanden sich eine Hakennase und helle, durchdringende Augen.
    Heilige Katharina, womöglich war er ein Inquisitor!
    »Folgt der westlichen Biegung des Tiber«, sagte Gerardo in seinem unbeholfenen Latein, »bis Ihr an die Brücke kommt, die zur Engelsburg hinüberführt – aber überquert sie nicht. Das Kloster Sant’ Angelo liegt neben der Brücke auf dieser Seite des Flusses. Ihr könnt es nicht verfehlen.« Er verbeugte sich tief.
    Der Mönch nickte. »Ich danke Euch, guter Mann.« Seine Hand wühlte in dem Beutel an seiner Hüfte, und dann warf er Gerardo eine Münze zu. »Für Eure Hilfe«, sagte er und gab dem Maultier die Sporen.
    Gerardo fing die Münze auf, schnappte nach Luft, und seine Meinung über den Mann, der im Zwielicht davonritt, besserte sich erheblich.
     
     
    Der Mönch kauerte sich in seinem Umhang zusammen, während das erschöpfte Maultier in die Stadt hineinstolperte. Seit Jahren schon hatte er die heiligste aller Städte besuchen wollen, doch nun konnte er nicht einen Funken Interesse für die Gebäude aufbringen, die vor ihm aufragten, für das Gelächter und die Stimmen, die aus den offenen Toren herausdrangen, für das ferne Brausen und Tosen des Tiber oder die funkelnden Lichter der Leostadt, die sich zu seiner Rechten erhob.
    Er suchte nicht einmal den Horizont nach der Silhouette des Petersdoms ab.
    Alles, woran er denken konnte, waren die Schmerzen in seinen Händen und Füßen. Die Kälte hatte sich so tief in seine Haut und seine Gelenke gefressen, dass er glaubte, für den Rest seines Lebens humpeln zu müssen.
    Aber wozu brauchte ein Mann Beine, der sein Leben der Anbetung Gottes gewidmet hatte? Und natürlich dem Bereuen seiner schrecklichen Sünde – einer Sünde, die so furchtbar war, dass er glaubte, er könnte nie genug dafür büßen, um Erlösung zu erlangen.
    Alice! Alice! Wie hatte er sie nur in den Tod gehen lassen können? Er war so jung gewesen und schrecklich überheblich dazu. Alice war einst seine Geliebte, seine Mätresse, und als sie von ihm schwanger geworden war und ihrem Gatten nicht erklären konnte, woher das Kind stammte… hatte sie… hatte sie… O Gott, vergib mir, dass ich sie nicht gerettet habe! Dass ich nicht vorhergesehen habe, was sie in ihrer Verzweiflung tun würde!
    Thomas verdrängte den Gedanken an diese schreckliche Zeit, diese furchtbare Sünde, die ihn von seinem sorglosen Leben in die Arme der Kirche getrieben hatte, und konzentrierte sich
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