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Hueter Der Macht

Hueter Der Macht

Titel: Hueter Der Macht
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gehört, welche die Pest zu Waisen gemacht hatte und die von ihren Nachbarn vertrieben worden waren, weil diese glaubten, dass auch die Kinder bereits die Pest in sich trugen.
    Doch obwohl dieser Junge durchgefroren und schmutzig war, schien er offensichtlich gesund zu sein. Seine Augen leuchteten hell und klar, und seine Haut war nicht vom Fieber gerötet.
    »Wie heißt du?«, fragte Aude.
    »Ich habe keinen Namen«, antwortete der Junge.
    »Wo sind deine Eltern?«, fragte Rainard.
    »Meine Mutter ist tot, und mein Vater hat uns vor vielen Jahren verlassen«, sagte der Junge. »Bevor ich geboren wurde. Ich weiß nicht, wo er ist. Bitte, ich habe Hunger. Habt Ihr etwas zu essen für mich?«
    Hinter ihm war ein Tapsen zu hören, und zwei Mädchen, vielleicht drei oder vier Jahre alt, gesellten sich schweigend zu ihm.
    »Wie viele seid ihr?«, fragte Rainard.
    »Wir und zwei weitere, beides Mädchen«, sagte der Junge. »Bitte, wir haben alle unsere Eltern verloren und sind hungrig. Werdet Ihr uns etwas zu essen geben?«
    Rainard und Aude blickten einander an. Sie waren arm und hatten gerade für sich selbst genug, aber sie besaßen auch ein gutes Herz und mochten Kinder gern. Gott wusste, dass es in dieser Zeit der Pest ohnehin zu wenige von ihnen gab.
    »Wir nehmen dich auf«, sagte Rainard und wies auf den Jungen, »und eines der Mädchen. Die Übrigen können bei anderen Familien unterkommen.«
    Der Junge lächelte, sein Gesicht war engelsgleich. »Ich danke Euch sehr«, sagte er.
    Er ging zur Wiege hinüber, und Rainard und Aude erstarrten.
    Doch der Junge streckte nur die Hand aus und berührte das schlafende Mädchen sanft an der Stirn. »Sie hat einen Schutzengel«, sagte er.
     
     
    In dieser Nacht und den nächsten beiden Tagen nahmen zwölf Dörfer in der Gegend nördlich von Nürnberg hungrige Waisenkinder auf. Niemand wunderte sich sonderlich über das Auftauchen der Kinder – zwischen den Dörfern bestand kaum Austausch, und so erfuhr niemand von der etwas überraschenden Anzahl von hungrigen Kindern mit seelenvollem Blick, die zur Zeit der Geburt Jesu Christi im Jahr der schwarzen Pest ein Obdach suchten.
    Es war eine Zeit der Krankheit und des Todes, wie sie niemand zuvor gekannt hatte, und sicherlich gab es überall im Land umherwandernde Waisenkinder.
    Sämtliche Kinder wurden aufgenommen und versorgt und in Liebe aufgezogen. Keines der Kinder biss die Hand, die es fütterte; diesen von der Arbeit rauen Händen gaben sie Liebe und Dankbarkeit und gute Taten zurück.
    Alle Kinder verließen schließlich die Häuser ihrer Pflegeeltern, um ein besonders erfülltes Leben zu führen. Keines von ihnen war das, was es zu sein vorgab, und trotz ihres scheinbar erfolgreichen Lebens wollten sie alle nur eines.
    Die Vernichtung all dessen, wofür Gott und seine Engel standen.

 
     
     
    ROM
     
     
     
    »Margarethe, liebe Grete, ich muss scheiden,
    Des mag ich leider nicht vermeiden,
    Dieweil Fortuna es also geruochet hat,
    Darumb weiß ich selb mir keinen Rat.
    So muss dein trautes Gretlein gehen in den Tot.«
     
    Ein Lied (für Margarethe)
    Mittelalterliche englische Ballade

Kapitel Eins
     
    Freitag nach dem Montag nach Dreikönig
    Im neunundvierzigsten Jahr der Regentschaft Eduard III.
     
    (16. Januar 1377)
     
     
     
    Ein Tropfen Rotwein lief an Gerardos stoppeligem Kinn hinab, und er stand zögernd – und ein wenig schwankend – von seinem warmen Platz hinter dem Kohlebecken auf.
    Es war an der Zeit, die Tore zu schließen.
    Gerardo war seit neun Jahren der Torhüter des Nordtors von Rom, der Porta del Popolo, und in all diesen neun Jahren hatte er noch nie einen Tag wie diesen erlebt. Er hatte stets das Tor vor Räubern, jüdischen und sarazenischen Kaufleuten geschlossen, vor späten Pilgern und hungernden Horden, die in die Heilige Stadt kamen, um zu betteln und die Reichen auszurauben. Geöffnet hatte er es für die Morgenröte, für die Armeen des Heiligen Römischen Reichs, für Händler und noch mehr Pilger.
    Heute hatte er das Tor am frühen Morgen aufgesperrt und festgestellt, dass ein Papst davor wartete.
    Gerardo hatte müde geblinzelt, während er mit offenem Mund dastand und seine Hand abwesend an den geröteten und juckenden Läusebissen unter seinem groben Wollgewand kratzte. Er hatte den Wartenden und sein Ornat nicht gleich erkannt und auch nicht die Banner, die von einem beachtlichen Gefolge getragen wurden, das hinter dem Papst stand. Und wie sollte er auch? In den letzten
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