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Hueter Der Macht

Hueter Der Macht

Titel: Hueter Der Macht
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hätte sich nichts verändert. Die Schlucht breitete sich vor ihm im Zwielicht aus, eine wilde Einöde aus Felsbrocken und Schatten und den geduckten Gestalten von niedrigen, struppigen Büschen.
    Doch im nächsten Augenblick änderte sich plötzlich alles. Feuer schoss hinter den Felsbrocken hervor und die Pflanzen gingen in Flammen auf. Ein Dröhnen und Reißen war zu hören, und Schwefelwolken stiegen in die Luft.
    Heulen und Schreie drangen aus dem Tor zur Hölle hervor, und die dünnen, weißen, verzweifelten Arme derjenigen, die in ihrem Inneren gefangen waren, reckten sich ihm entgegen.
    Wynkyn kicherte. Der Schlund hatte sich geöffnet. Es wurde Zeit, das leibhaftige Böse in die Hölle zurückzuschicken, wo es hingehörte.
    Aber seine Arbeit war noch nicht vollbracht. Er wandte sich ein wenig zur Seite, sodass er den Pfad hinter sich überschauen konnte.
    »Kommt«, sagte er und schnippte mit den Fingern. »Kommt.«
    Einen Moment lang blieb es still, dann kamen aus dem Wald, der den Pfad zu beiden Seiten säumte, Kinder hervorgelaufen, etwa dreißig oder fünfunddreißig, alle zwischen zwei und sechs Jahren alt.
    Nicht eines von ihnen war menschlich und alle waren schrecklich missgestaltet; ihre verkrüppelten Körper spiegelten ihre verkrüppelten Seelen wider. Es waren Dämonen, trotz ihrer engelhaften Gesichter.
    Wynkyn fletschte die Zähne. Sie waren abscheulich! Teuflisch! Und zum Teufel musste er sie jagen.
    Er hob die Hand, versuchte das Beben zu unterdrücken und sprach die Beschwörung, die sie in die Hölle zurückzwingen…
    Doch da wurde sein Körper von einem Schütteln gepackt und seine Stimme zitterte und versagte.
    Ein weiteres Schütteln durchlief ihn, und Wynkyn de Worde brach auf dem Boden zusammen.
    Eines der Kinder, ein Junge von etwa sechs Jahren, trat einige Schritte auf den Mönch zu.
    Wynkyn rollte sich mit verzerrtem Gesicht herum und begann erneut, zu flüstern.
    Der Junge lächelte. Ihre Reise in die Hölle schien mit jedem Atemzug des alten Mannes unwahrscheinlicher.
    Wynkyns Stimme verstummte mit einem Rasseln. Er hob die Hand und versuchte verzweifelt, die Worte aus der Luft herbeizuzaubern, aber es gelang ihm nicht. Seine Hand sank zu Boden und versagte ebenso kläglich wie seine Stimme.
    »Ihr liegt im Sterben«, sagte der Junge erleichtert und erfreut.
    Er drehte sich um und blickte seine Gefährten an. »Der Hüter liegt im Sterben!«, sagte er.
    Hinter ihm zuckte und wand sich Wynkyn und kämpfte vergeblich gegen seine Krankheit an. Er versuchte zu atmen, doch er konnte es nicht… er konnte nicht… die Flüssigkeit in seiner Lunge war bis in seine Kehle aufgestiegen und…
    Der Junge drehte sich wieder zu Wynkyn um, als der Mönch ein schreckliches Gurgeln von sich gab. Der alte Mann zitterte und Flüssigkeit lief ihm aus Mund und Nase.
    Seine Augen waren weit aufgerissen… und von Furcht erfüllt.
    »Wenn ich genügend Kraft besäße«, sagte der Junge mit einer Stimme, die überraschend reif für sein Alter klang, »würde ich Euch selbst in den Schlund werfen.«
    Aber er konnte es nicht. Also stand der Junge nur da, während seine Gefährten sich neugierig und freudig um ihn scharten, und sie sahen zu, wie Wynkyn de Worde mit dem Tod rang.
    Sie warteten noch eine Weile, nachdem er gestorben war. Nur um sicherzugehen.
    Sie warteten, bis sich der Spalt in der Erde von selbst wieder geschlossen hatte, als er des Wartens auf die Beschwörungsformeln, die ihn füttern sollten, überdrüssig war.
    Sie warteten, bis der Junge an ihrer Spitze sich vorbeugte und den Schlüssel ergriff, der am Gürtel des toten Mönchs hing.
    Sie warteten, bis der Fluch des Namenlosen Tages vorbei war und keine Gefahr mehr bestand, dass sie in die Hölle hinabgestoßen würden.
    »Gelobt sei die Freiheit!«, rief der Junge und brach in Gelächter aus. »Wir sind vom Fluch der Engel befreit. Nun können wir endlich leben!«
    Und er machte eine obszöne Geste und warf den Schlüssel dem nächtlichen Himmel entgegen.
     
     
    Es war eine kalte Nacht.
    Schlimmer noch, es war die gefürchtetste Zeit des Jahres, denn jeder wusste, dass während der Wintersonnenwende die Welten der Menschen und der Dämonen einander berührten und der Übergang von einer zur anderen möglich war. In alten Zeiten hatten die Menschen diese Spanne von Tag und Nacht den Namenlosen Tag genannt, denn ihr einen Namen zu geben, hätte ihr noch mehr Macht verliehen. Obwohl die Menschen nun über das Wort Gottes verfügten,
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