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Honecker privat

Honecker privat

Titel: Honecker privat
Autoren: L Herzog
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gelten. Zu den wenigen Privilegien, die sich Staats- und Parteichef Ulbricht bewilligt hatte, gehörte eine Abteilung, die sich um sein Wohl und Wehe kümmerte – vom Personenschützer über Koch und Kellner bis hin zu medizinischem Personal. Honecker, keine sechzig und gesund, meinte darauf verzichten zu können und löste diese Abteilung auf. Er wollte bescheiden und unprätentiös erscheinen. Trotzdem bestand für den ersten Mann im Staate objektiv ein erhöhtes Sicherheitsrisiko und -interesse, und dass es auch im sonst friedlichen Zentraleuropa verheerende Terroranschläge geben konnte, sollte man in München während der Olympischen Sommerspiele nachdrücklich vorgeführt bekommen. Anfang Septembe 1972 starben dort 17 Menschen, übrigens unter Mitwirkung von deutschen Neonazis, wie im Juni 2012 vom Bundesamt für Verfassungsschutz freigegebene Akten offenbarten.
    Als ich im Sommer ’72 erstmals zu Honeckers Urlaubsbetreuung abkommandiert wurde, war ich bereits zehn Jahre beim MfS. Meine Vorgesetzten, und da denke ich zuerst an den Minister, wollten wahrscheinlich die von Erich Honecker aufgelöste Ulbricht-Abteilung reanimieren: aus welchen Gründen auch immer. So schickte man mich als persönlichen Kellner auf die Insel Vilm. Ich war einfach da. Und meine Chefs wollten sehen, wie EH darauf reagierte. Er nahm mich wahr und sagte kein einziges Wort. Der Versuchsballon war erfolgreich gestartet. Schon bald sollte es wieder eine Betreuungsgruppe geben, die weitaus größer war als die aufgelöste Abteilung des Vorgängers.
    Ich trug in der Hosentasche eine tschechische Pistole mit dem Namen »Duo«. Die Waffe mit dem Kaliber 6,35 mm war nicht größer als mein Handteller, weshalb sie von manchem nur abschätzig »Pistölchen« genannt wurde. Mich störte lediglich, dass es kein Holster gab, weshalb ich sie lose in der Hosentasche trug. Und damit sie beim Laufen nicht scheuerte, schlug ich sie in ein Taschentuch ein.
    Meine einzige militärische Ausbildung erfolgte an drei Tagen im Jahr, dazu gehörte auch das Schießtraining.
    Mit dem »Pistölchen« traf ich immer ins Schwarze. Trotzdem hatte ich kein Verhältnis zu dieser wie zu jeder anderen Waffe, ich empfand sie als störend. Wenn ich Honecker das Essen auftrug oder die leeren Teller abräumte, sperrte sich das Metall in meiner Hose.
    Sofern sich Gelegenheit ergab, legte ich das Ding darum beiseite. So auch einmal, als wir mit dem Regierungszug unterwegs waren. Ich packte das Schießeisen in den Kühlschrank – und vergaß es dort beim Aussteigen. Am nächsten Tag durfte ich bei Generalleutnant Franz Gold antreten. Er leitete seit 1950, also faktisch seit Anbeginn, die Hauptabteilung Personenschutz. Gold war als Wehrmachtsoldat zur Roten Armee übergelaufen, gehörte zu den Mitbegründern des Nationalkomitees »Freies Deutschland« und hatte als Partisan in der Slowakei gegen die Nazis gekämpft. Er war eine Persönlichkeit mit Charakter.
    General Gold zog ein Schubfach auf, holte meine Pistole hervor und legte sie vor mich auf die Platte. Wenn Sie sie nicht brauchen, sagte er ganz ruhig, dann geben Sie die Waffe eben ab. Mehr nicht. Jeder andere an seiner Stelle hätte mich möglicherweise zusammengefaltet, bestraft, degradiert, was weiß ich. Ich hatte meine Waffe verloren, was in den Augen der meisten Militärs unverzeihlich war. Franz Gold aber sagte seelenruhig, ich solle sie abgeben, wenn ich sie nicht brauche.
    Natürlich brauchte ich sie nicht. Das hatte er sehr richtig erkannt. Warum also sollte ich beim Kellnern eine Pistole mit mir herumtragen? Ehe ich im Ernstfall den Teller fallengelassen und sie aus dem Taschentuch gewickelt hätte, wäre ich schon längst mausetot. Und Honecker gewiss auch.
    Also gab ich nach zwei Jahren meine Pistole beim Waffenwart ab. Ich habe nie wieder eine getragen.
    Ich war in den Folgejahren regelmäßig im Sommer auf der Insel und erfüllte meinen Auftrag, die Wünsche der mir Anempfohlenen von deren Augen abzulesen. Von Vilm ging es direkt auf die Krim zum Treffen mit Leonid Breshnew. Wir flogen mit dem Hubschrauber ab Lauterbach entweder nach Marxwalde, das heute Neuhardenberg heißt, oder nach Berlin-Schönefeld. Von dort starteten wir nach Simferopol.
    In Marxwalde war die Regierungsfliegerstaffel stationiert. Die Start- und Landebahn war für IL 14 und IL 18 ausgelegt, den ersten Dienstfahrzeugen der Regierungsmannschaft. Danach wurde die TU 124 und die TU 134 für diese Zwecke genutzt. Als jedoch der
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