Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Honecker privat

Honecker privat

Titel: Honecker privat
Autoren: L Herzog
Vom Netzwerk:
mir gegenüber schlagartig. Entweder fürchtete er, ich würde ihn wegen seiner Arroganz verzinken, oder er hoffte auf Fürsprache. Wohl wahr, das sind Verhaltensmuster, die es in allen Hierarchien in jedem System gibt.
    Die Zitrone nahm er ausschließlich deshalb zu sich, weil er sich vor Grippe schützen wollte. Er machte sich zu eigen, was der Volksmund sagte: Vitamin C stärkt die Abwehrkräfte. Und da er nichts auf Pillen und andere pharmazeutische Produkte gab, mehr den natürlichen Hilfsmitteln vertraute, musste es eben Zitrone sein. Ich will nicht behaupten, dass er Anflüge von Hypochondrie aufwies, aber bestimmte Reflexe deuteten in diese Richtung. Er war eben vorsichtig und auf seine Gesundheit bedacht. So war ihm Körperkontakt aus eben diesem Grunde unangenehm. Jedes Shakehands, und bei Empfängen musste er besonders viele Hände schütteln, trieb ihn auf die Toilette, wo er sich intensiv die Hände wusch. (Oder ich steckte ihm heimlich ein Tuch zu.) Wer in seiner Umgebung auch nur den Verdacht einer Erkältung weckte, den mied er auffällig.
    In das Fach »Vorsicht« fallen auch die Auslandsreisen, die nach seinem Wunsche möglichst kurz sein mussten. Am liebsten waren ihm jene, bei denen er sich morgens ins Flugzeug setzen und am Abend nach Wandlitz zurückkehren konnte. Er sehnte sich nach vertrauter Umgebung und Geborgenheit. Die Fremde und Fremde verunsicherten ihn. Die längste Dienstreise, die er jemals machte, führte uns nach Fernost. Ende 1977 besuchten wir Vietnam, die Philippinen und Nordkorea. Zwölf Tage waren wir unterwegs. Nie wieder so lange von daheim weg!
    Er machte darum auch nie Urlaub im Ausland, zumindest nicht, als er Staats- und Parteichef war. Als Politbüromitglied musste er wie seinesgleichen die Einladung aus der Sowjetunion annehmen, da war er wohl einige Male auf der Krim. In Polen verbrachte er einmal einen Sommerurlaub auf Hel vor Danzig. Wenn Sie sich ein wenig dort auskennen: An der Spitze dieser meist nur 200 Meter breiten Halbinsel befindet sich ein sehr gut bewachtes Armeeobjekt mit Gästehäusern, da durfte ich nur die Koffer tragen und konnte mich gleich verabschieden. Die Jagdausflüge in die anderen sozialistischen Staaten fielen nicht in die Kategorie Urlaub.
    Sie galten bereits als lang, wenn er vor Ort über Nacht bleiben musste.
    Kuba war das einzige Land, wohin er gern reiste und diese Besuche auch sichtlich genoss. Wir waren dort 1974, 1980 und 1982, und es gibt diese bekannten Fotos vom Hochseeangeln, auf denen er voller Stolz einen Fisch in die Kamera hält. Und falls jetzt die Frage kommt, ob er diesen Fisch auch gegessen habe: nein. Er aß kein Wild, er aß keinen Fisch. Aus Prinzip. Doch woher diese Abneigung rührte, vermag ich nicht zu sagen.
    Gleichwohl wollte er bei Staatsbesuchen keine deutsche Extrawurst gebraten haben, er ließ sich auf fremde Küchen und Kulturen durchaus ein und verpflichtete dazu auch alle Mitreisenden. Doch die Vorkommandos, die vor Ort die Reise vorbereiteten, und denen ich in der Regel ebenfalls angehörte, versuchten darauf Einfluss zu nehmen, dass die Gerichte der Gastgeber nicht ganz zu exotisch oder zu chi-chi ausfielen.
    Das lag nicht nur an seiner Bodenständigkeit, sondern auch an praktischen Erfahrungen. Ministerpräsident Willi Stoph hatte sich in Vietnam einmal gründlich den Magen mit einheimischer Kost verdorben, was ihn aufs Krankenlager und das politische Programm über den Haufen warf. Das war Lehre genug für alle DDR-Staatsreisenden.
    Mein Chef lebte gesund, und das vermutlich nicht nur um seiner Selbst willen, sondern nach dem Leninschen Grundsatz: Gesundheit ist Volkseigentum, schütze es, Genosse! Er war bis Ende der 60er Jahre ein starker Raucher, und beim regelmäßigen Skatspiel im Klubhaus in Wandlitz, woran vornehmlich Erich Apel (bis zu seine Selbstmord 1965), Günter Mittag und Gerhard Grüneberg teilnahmen, wurde manche Flasche Weinbrand Edel geleert. Als sich jedoch der Führungswechsel abzuzeichnen begann, zog er sich aus dieser Klubrunde zurück und stellte faktisch über Nacht den Zigaretten-Konsum ein.
    Als Erster in der Partei trank er kaum noch Hochprozentigen, obgleich bis in die 80er Jahre hinein bei Empfängen die »Granaten« auf dem Tisch standen und niemand ohne eine Glas in den Saal kam. Am Eingang stand links ein Mädel mit einem Tablett mit Braunem, rechts eines mit Klarem. Bis zu jenem Eklat bei der Konstituierung des Luther-Komitees, mit welchem der Auftakt zu den staatlichen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher