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Holy Shit

Holy Shit

Titel: Holy Shit
Autoren: Rolf-Bernhard Essig
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Affenschädel, Krokodilsköpfe, Schildkrötenpanzer, allerlei Tiermumien und getrocknete Felle, geschnitzte Dämonen in unterschiedlicher Größe und Ausprägung, Krallen, Federn, Stacheln, Hörner, Schwänze, Holzschüsseln, Zaubertabletts. Die Produktpalette ist groß.
    Suchen Sie jemanden, der einen Fluch gegen Sie bricht? Oder wäre ein Exorzismus hilfreich? Brauchen Sie vielleicht einen Liebeszauber? Einen Bannstrahl für fiese Vorgesetzte? Ein Abwehrfeld gegen miese Konkurrenten? Eine Dämonenanalyse, um Ihre Chakren zu reinigen? Leicht findet man auch Angebote für Schadenzauber-Dienste wie Rachezeremonien, Verkrüppelungssprüche, Unfallverwünschungen, Fehlgeburtsmagie, Impotenzmachtworte. Es gibt alles.
    Wer über dieses Paralleluniversum voller Dämonen und Magie entsetzt ist und »Humbug!« stöhnt, besitzt meine volle Sympathie. Was auch immer aber Sie und ich davon halten, der Sachverhalt an sich ist nicht aus der Welt zu schaffen; nicht einmal mit Weißer Magie. Zu tief verwurzelt wie lebendig ist der Glaube an Hexerei in allen Kulturen, bis hin zur Verehrung oder Verfolgung derer, die angeblich die Macht haben, Flüche auszusprechen oder abzuwehren. Zahllos sind die Spielarten, manche erschreckend, manche lächerlich, manche unheimlich: Da werden jüngst in den Schweizer Bergen des AppenzellerlandsFrauen als Wetter-, Vieh- und Kindshexen verdächtigt oder unter die Kopfkissen türkischer Kinder Schutzbriefe gegen Schadenzauber gelegt; in New York bietet ein »Voodoo Master« sieben Freistunden in seiner Kunst per Internet an; in Australien offerieren moderne Hexen ihre Dienste, um das Gehalt aufzubessern – erst einmal natürlich ihr eigenes.

    Zweifellos können seit den frühesten Zeiten der Überlieferung Experten wie Priester, Hexer, Magier beiderlei Geschlechts mit Flüchen aller Art viel Geld und Einfluss gewinnen. Das Schöne an dem Geschäft: Wer aus Aberglauben einen Liebeskonkurrenten zur Impotenz verfluchen lässt, glaubt zwangsläufig an Gegenflüche und muss sich vor ihnen schützen lassen: ein Doppelgeschäft für die Zauberhändler. Kein Wunder also, dass sich eine ungeheure Menge an Fluchtafeln, Fluchtieren, Fluchknochen, Fluchschriften aus vielen Kulturen und Zeiten erhalten hat! Und sie werden weiterhin produziert. Durch diese Gegenstände gewinnen wir einen ganz direkten Einblick in die alte Fluchpraxis. Die Materialisierung des Fluches durch die Schrift hatte dabei noch einen besonderen Sinn: Sie sollte ihm mehr Macht und Dauer verleihen. Auf ein Metalltäfelchen (meistens Blei, das sehr gut passte, weil es billig, giftig, wertlos war) oder ein Stück Papyrus fixiert, vergrub man Fluchtafeln in der römischen Antike in Gräbern, warf sie in Brunnen, Zisternen oder deponierte sie in Demeter-Tempeln. Kleine Fluchschriften konnte man einem Gegner aber auch heimlich unterjubeln, so dass der Fluch ihn auf Schritt und Tritt verfolgte oder im Alltag immer nahe war. Dazu ließ man ihn manchmal heimlich in Kleidung einnähen oder versteckte die Fluchtafeln im Haus des anderen. Bei den Gegenflüchen und der Fluchabwehr verfuhr man genauso, trug sie um den Hals oder brachte sie im eigenen Haus an. Auch der sprichwörtliche Haussegen ist letztlich dazu da, unangenehme oder böse Mächte von den Bewohnern und dem Heim selbst fernzuhalten. EinigePharaonen traten ihre Feinde täglich in den Staub, jedenfalls wenn sie zu Fuß unterwegs waren. Auf der Unterseite ihrer Schuhsohlen fand man den Namen von Feinden. Jeder Schritt des gottgleichen Herrschers wies ihnen den angemessenen Platz im Straßenstaub zu.
    Nach dem Motto, Gleiches mit Gleichem abwehren, verfährt man in islamischen Ländern, wo Millionen von Augen verkauft werden: als Schlüsselanhänger, Kühlschrankmagnete, Handschmeichler oder Anhänger, und zwar immer in den Farben (von außen nach innen) Dunkelblau, Weiß, Hellblau, Dunkelblau. Ein solches Nazar, auch »Auge der Fatima« genannt, ist zur Verstärkung der Wirkung oft in die »Hand der Fatima« integriert. Ob nur gezeichnet oder als Amulett getragen, der Handumriss mit Auge in der Mitte soll sicher vor dem bösen Blick schützen. Zum selben Zweck gibt es zahlreiche weitere Abwehrpraktiken, beispielsweise steckt man in vielen Kulturen eine Nadel in die Kleidung.
    Wie können so viele Menschen sich nur so viel Blödsinn ausdenken, glauben und danach leben? Naja, wenn ich ehrlich bin, lebe ich selbst auch nicht immer vernünftig. Und für die unvernünftigen Phasen, wenn ich zum
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