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Holy Shit

Holy Shit

Titel: Holy Shit
Autoren: Rolf-Bernhard Essig
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Beispiel jemandem die Daumen drücke, ist die Magie, der Aberglauben da.
    Beide hatten leichtes Spiel, weil selbst die Aufklärung mit ihrer Hoffnung auf die Kräfte des gesunden, kritischen Menschenverstands keinen umfassenden und dauerhaften Schutz gegen den Angriff des Unsichtbaren bot. Genau das, was nicht recht zu fassen, nicht leicht zu erklären, nicht zu sehen ist, beunruhigt die Menschen ja am meisten. Und die Gefühle der Angst verschwinden meist nicht einfach, indem man sich sagt: »Es gibt keine Geister! Es gibt keine übersinnlichen Kräfte!« Dagegen kann ein abergläubischer Mensch durchaus Trost in seinen Praktiken finden und vor allem aktiv gegen seine Angstzustände vorgehen, wenn er beispielsweise nachts im Dunkeln unheimliche Geräusche hört. Er meint vielleicht,dass ihn sein blöder Nachbar verflucht hat, weshalb nun ein Klopfgeist umgeht. Tja, und dann greift er an sein teuer erworbenes Amulett, an dessen Wirkung er schon wegen seines Preises glaubt, und spricht die vom Magier vorgeschriebenen Worte. Indem er etwas gegen sie unternimmt, verringert sich seine Angst sofort, sei es durch Ergreifen eines Amuletts, eines Säckchens mit Zaubersprüchen oder sogar eines in Silber gefassten Stücks gegerbter Menschenhaut wie bei einem Amulett, das in Süddeutschland im 15. Jahrhundert hergestellt wurde. Viele weitere Teile des menschlichen Körpers, auch Menschenfett, verwandelte man in unseren Breiten jahrhundertelang in magische Objekte oder verwendete sie direkt für Tränke und Salben. Woher man sie bekam? Teils von Friedhöfen, am häufigsten von Gehenkten, die zur Abschreckung oft längere Zeit am Galgen hängen blieben. Deren Körperteile und -sekrete schätzte man besonders. Weil die armen Sünder vor dem natürlichen Sterbenszeitpunkt gewaltsam aus dem Leben gerissen wurden, meinte man, es befinde sich in ihren Leichen noch nicht verbrauchte Lebensenergie.
    Auf Magie und ihre Praktiken, auf ihre Meister und Jünger werde ich an späteren Stellen des Buches noch eingehen, fürs Erste aber lässt sich festhalten: Das Fluchen, die Tabuwörter und Kraftausdrücke entstammen der Sphäre von Religion oder Magie. Sie haben bis heute eine besondere – wie der Name schon klärt – Kraft und Bedeutung, die über die anderer Wörter weit hinausgeht. Das ist ein sozialer Effekt, kein Zauberakt.

Worte als Diebstahlsicherung: Bücherflüche
    Bis heute sind Bücher für viele Menschen ein wertvoller Besitz. In früheren Jahrhunderten, als ihre Herstellung und ihrMaterial sie so teuer machten, dass man ein Vermögen für ihren Erwerb ausgeben musste, galt das noch mehr. Für ein mit Bildern verziertes Buch gab König Edward III. 1331 eine Summe aus, für die man 80 (!) Rinder hätte kaufen können. Umso ärgerlicher war es, wenn Bücher beschädigt, gestohlen oder bis zum St. Nimmerleinstag entliehen wurden. Seit viertausend Jahren versucht man, dies mit Hilfe spezieller Bücherflüche zu verhindern. In mein Poesiealbum von 1975 schrieb zum Beispiel mein Schwager Ralf: »Wer eifrig in dem Büchlein liest, / die Weisheit mit dem Löffel frißt. / Ich wollt’, daß den der Teufel holte, / der dies, mein Buch, behalten wollte.« Das erinnert an frühere Zeiten, da man freilich noch wütendere Flüche den Büchern als Schutz einschrieb. Hier eine kleine Auswahl:
    Sumerische Tontafel , viertausend Jahre alt, vielleicht von einem Bibliothekar geschrieben, der sie mit seinem Bannfluch vor Missbrauch schützen wollte: »Wer diese Tafel bricht oder sie ins Wasser legt oder auf ihr herumschabt, bis man sie nicht mehr entziffern und verstehen kann, den mögen Assur, Sin, Shamash, Adad und Ishtar von Bit Kidmurri, die Götter des Himmels und der Erde und die Götter Assyriens mit einem Fluch strafen, der nicht mehr getilgt werden kann, schrecklich und gnadenlos, solange er lebt, und sein Name, seine Nachkommen sollen vom Land hinweggefegt und sein Fleisch den Hunden zum Fraß vorgeworfen werden!«
    Syrien , 7. oder 8. Jahrhundert: »Wer die Erinnerung [daran, dass das Buch dem Kloster gehört] ausradiert, dessen Name wird ausradiert aus dem Buch des Lebens.«
    Lyon , Frankreich, 9. Jahrhundert: »Dies Buch ist dem Altar des Heiligen Stephan geweiht, gemäß dem Versprechen des Remigius, des demütigen Bischofs; möge mit dem Gebrauchenden[dem Leser] Gnade sein, dem freigebigen Spender Vergebung zuteilwerden, dem Dieb der Bannfluch!«
    England , hohes Mittelalter: »Wer auch immer es [die Handschrift] stiehlt, sei dem
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