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Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)

Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)

Titel: Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)
Autoren: Captain Richard Phillips , Stephan Talty
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Städte des Bundesstaats Vermont. Von unserem umgebauten Farmhaus sieht man nur grüne Hügel, wiederkäuende Kühe und noch mehr grüne Hügel. Underhill ist einer der Orte in Vermont, in denen ein junger Farmer seiner Dorfliebsten die Frage RACHEL, WILLST DU MICH HEIRATEN? nicht direkt stellt, sondern auf Heuballen sprüht. Ein Ort, von dem aus man sich schon nach drei Minuten Fußmarsch in einem Wald verirren kann, der so tief und dicht und still ist, dass man glaubt, es könne jeden Augenblick der alte Pionier und Jäger Daniel Boone hinter einem Baum hervorkommen. Im Ort gibt es zwei Gemischtwarenläden und eine katholische Kirche namens St. Thomas. Gelegentlich verirren sich auch mal ein paar Touristen aus Manhattan hierher. Die Gegend ist das absolute Kontrastprogramm zum Meer, und genau das gefällt mir daran. Mir kommt es so vor, als führte ich zwei völlig verschiedene Leben.
    Als Seemann der Handelsmarine arbeite ich häufig drei Monate am Stück und habe dann drei Monate Urlaub. Sobald ich nach Hause komme, vergesse ich das Meer. Dann bin ich hundertprozentig Vater und Ehemann. Als unsere Kinder Dan und Mariah noch klein waren, kümmerte ich mich um sie, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Nachbarn und Freunde baten mich häufig, als Babysitter auf ihre Kinder aufzupassen, deshalb hatte ich manchmal fünf oder sechs Kinder im Schlepptau. Ich kochte das Abendessen: arme Ritter bei Kerzenlicht, meine Spezialität. Ich half den Kindern bei den Hausaufgaben, eine Tätigkeit, die ich scherzhaft Rich’s Homework Club nannte, oder begleitete die Kinder auf Klassenausflügen. Was ich auch mache, ob bei der Arbeit oder im häuslichen Leben, ich mache es immer mit vollem Einsatz.
    Wenn ich mich dann von meiner Familie verabschiede, ist es gewöhnlich für einen längeren Zeitraum. Vor dem Einschiffen muss man ihnen etwas Besonderes bieten, denn es könnte tatsächlich das letzte Mal sein, dass man mit ihnen zusammen sein kann. Als Dan noch jünger war, versuchte er mich manchmal mit spitzen Bemerkungen zu provozieren: »Na ja, eigentlich hab ich gar keinen Vater. Der ist nämlich nie zu Hause. Wahrscheinlich kann er mich nicht leiden.« Dann lachten wir darüber. Dan ist genau so, wie ich selbst mit neunzehn war: ein Schlaumeier, der unweigerlich deine Schwächen entdeckt und gnadenlos in diese Kerbe haut, bis man lachend nachgeben muss. Aber was er sagte, nämlich dass ich nie da sei, ging mir dann nicht mehr aus dem Kopf. Denn darin steckt auch ein Körnchen Wahrheit. Meine Tochter Mariah und Dan sahen mich drei Monate lang jeden Tag von morgens bis abends, doch dann verschwand ich wieder in eine weit entfernte Ecke der Welt. Es war ihnen völlig egal, dass es Seeleute gab, die viel länger an Bord blieben als ich, oder dass ich ihnen einmal von einem Burschen erzählte, den ich kannte, einen Funker, der volle zwei Jahre auf seinem Schiff geblieben war.
    Als Seemann ist man eben gezwungen, von Zeit zu Zeit sein eigentliches Leben gewissermaßen auf einem Küchenregal zu Hause zurückzulassen und das Leben auf See voll zu akzeptieren. Denn in diesem Beruf gibt es so gut wie kein Privatleben. Du bist rund um die Uhr im Dienst, um das Schiff zu führen. Du isst, du schläfst, du arbeitest – viel mehr gehört nicht dazu. Du legst dein Landleben ab und fährst zur See. Und eines Tages kehrst du zurück, nimmst dein Landleben wieder vom Regal und lebst es für eine Zeitlang weiter.
    Für den Übergang vom Landleben zum Leben auf See entwickelt man bestimmte Rituale. In der englischen Seemannssprache gibt es dafür den Ausdruck »crossing the bar«; er bedeutet, sich aus dem sicheren Hafen in die unbekannten Weiten des Ozeans zu wagen (der Ausdruck kann sich aber auch auf den Tod eines Seemanns beziehen). Auf diesen Übergang muss man sich mental vorbereiten. Die Zeit kann sogar richtig stressig werden, vor allem dann, wenn sich in den Seelen der Angehörigen obskure Ängste einnisten. Vermutlich hatte auch Andrea in diesem kalten März die Gefahren im Sinn, die zu meinem Job gehören – Piraten, Monsterwellen, Verzweiflungstaten der Menschen in den Häfen der Dritten Welt. Ich dagegen dachte zu diesem Zeitpunkt bereits wieder wie ein Captain und hatte ständig meine Checkliste mit tausend Aufgaben vor Augen: Welche Reparaturen muss ich noch durchführen lassen? Besteht meine Besatzung aus verlässlichen Männern? Am Anfang unserer Ehe fing ich damit schon ungefähr einen Monat vor der Abreise an, was Andrea
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