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Fucking Berlin

Fucking Berlin

Titel: Fucking Berlin
Autoren: Sonia Rossi
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INTRO
    Der Zug hatte die Alpen hinter sich gelassen und brauste durch die mondlose Januarnacht. Im Waggon pfiff der Wind durch die Fensterritzen. Eine schwere Frau schritt mühsam durch den Flur, im Arm ein schlafendes Baby, einen Koffer mit Rädern hinter sich herziehend.
    Hinter mir lagen Italien, die Weihnachtsfeiertage mit meiner Familie und den alten Schulfreunden, die es alle immer noch auf der Vulkaninsel vor Sizilien aushielten, auf der ich groß geworden bin. Bis Berlin war es noch weit, noch zehn Stunden durch Felder und verschlafene Dörfer. Durch ein Land, das ich nach fünf Jahren in gewisser Hinsicht wohl besser kannte als die meisten Deutschen.
    Ich konnte nicht schlafen, mir gingen tausend Gedanken durch den Kopf. Außerdem war meine schmale Liege nicht gerade bequem.
    Dann trat jemand in die Kabine. Für ein paar Sekunden blendete mich die Helligkeit, die plötzlich aus dem Gang in das Abteil fiel, ich erkannte zwei Männerbeine und hörte, wie jemand seine Sachen auf das Bett über meinem Kopf schmiss. Der Mann war Mitte dreißig, trug einen bunten Anorak, Levi’s-Jeans, die ihre besten Tage bereits hinter sich hatten, und Adidas-Turnschuhe.
    Irgendwann wollte ich eine Zigarette rauchen, was imAbteil natürlich verboten war. Ich griff nach meiner Schachtel Marlboro Lights, stemmte vorsichtig die Kabinentür auf und schlich auf den Gang.
    Plötzlich stand der junge Mann aus meinem Abteil neben mir und hielt mir eine Flamme vors Gesicht. Seine Haare waren ungekämmt, er war kaum größer als ich. Mit unseren Kippen in der Hand lächelten wir uns zu wie Landsleute, die sich in der Fremde treffen. Solche Momente waren einer der Gründe, warum ich aller Warnungen zum Trotz Raucherin blieb: Man konnte schnell Freundschaften schließen.
    Kaum hatten wir ein paar Züge geraucht, beschwerte sich von irgendwoher eine wütende Frauenstimme.
    »Schon gut«, antwortete der junge Mann. »Gehen wir eben in den Speisewagen.«
    Wir setzten uns an die Bar. Eine gelangweilte Kellnerin brachte uns zwei überteuerte Beck’s. Ich erfuhr, dass der Unbekannte Jörg hieß, in der Schweiz als Dachdecker arbeitete und zu seinen Kindern nach Rostock fuhr.
    Mir fiel ein, dass ich sein Feuerzeug eingesteckt hatte, eine dumme Angewohnheit von mir. Ich musterte es, bevor ich es ihm zurückgab. Auf der Rückseite war in Blockschrift »Manuela« eingraviert.
    »Deine Frau?«, fragte ich neugierig.
    »Ex-Frau«, antwortete er mit gesenktem Blick.
    »Oh, tut mir leid.« Hoffentlich fängt er nicht an zu heulen, dachte ich.
    »Mir auch … Aber es ist schon eine ältere Geschichte. Wir sind seit einem Jahr getrennt.« Er schwieg eine Weile und trank einen Schluck Bier, bevor er fortfuhr. »Wir haben uns am Ende nur noch gestritten. Am Anfang, da haben wir uns wahnsinnig geliebt. Aber dann kamen die Probleme. Sie blieb mit den Kindern zu Hause und beschuldigte mich, ich sei nur noch mit meinen Kumpels unterwegs. Dabei habeich die ganze Woche auf der Baustelle gearbeitet und bin immer um sechs Uhr abends zu Hause gewesen. Nur freitags habe ich ein Bierchen nach Feierabend getrunken. Das steht einem Familienvater doch zu, oder?« Es klang, als ob er sich schämen würde.
    »Ganz sicher«, antwortete ich. »Aber die Frage ist eine andere: Wann hat sie mal ein Bierchen nach Feierabend getrunken?«
    Wieder Schweigen. Ein Betrunkener in der Ecke grölte etwas vor sich hin – »Alles Schweine, die da oben!« und Ähnliches. Jörg und ich mussten lachen.
    »Ja, da hast du recht«, fuhr Jörg dann fort. »Aber sie hätte von mir aus ruhig am Samstagabend ausgehen können. Ich hätte auf die Kinder aufgepasst. Aber irgendwie hatte sie keine Lust dazu. Ihre Freundinnen sind auch alle Mütter und gehen genauso wenig feiern.«
    Ich wusste, was jetzt kommen würde.
    »Weißt du, früher hat sie sich immer schön gemacht. Sie hatte damals rote, lange Haare und zog für die Disko schwarze, enge Kleider aus Spitze an. Da stehe ich wahnsinnig drauf.« Wieder schaute er schuldbewusst. Ich lächelte unbeeindruckt. »Sie hatte auch eine wunderbare Figur. Schlanke, aber sportliche Beine, schmale Taille. Na ja, so wie du.«
    »Danke«, sagte ich. »Und jetzt ist sie nicht mehr hübsch?« Das war wohl eher eine rhetorische Frage.
    Jörg dachte nach. »Na ja, wenn sie mal was für sich tun würde, wäre sie immer noch schön. Aber sie geht nicht mehr zum Friseur, sie schminkt sich nicht mehr und läuft nur noch in Schlabberhosen rum. Ein paar Kilo zu viel
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