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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle
Autoren: Hera Lind
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Versteigerung statt. Die Interessenten an der Villa, in die wir uns auf den ersten Blick verliebt hatten, standen im Amtsgericht Schlange bis auf die Straße. Genau gesagt waren es achtundvierzig Bieter. Achtundvierzig Menschen wollten die Villa.
    Und Stefan bekam den Zuschlag.
     
    So zogen wir nach den Sommerferien mit geschätzten dreihundertvierzig Paar Schuhen in den Größen 22 bis 45 in die sanierungsbedürftige Villa. Aber der alte Kasten, immerhin ein Architektenhaus, war größer und maroder, als wir das von unserer ersten Besichtigung noch in Erinnerung hatten. Also Kernsanierung. Und wenn schon! Haben wir uns je vor etwas gescheut? Ist das etwa ein Grund zu klagen? Sich zu bemitleiden, zu jammern und sich über ARBEIT, DRECK und LÄRM zu beschweren?

    Wir lebten über zwei Jahre auf einer Großbaustelle, vorerst zu sechst unter den Dachschrägen im zweiten und dritten Obergeschoss. Wir lebten auf engstem Raum. Wir LEBTEN!
    Und es war einfach herrlich!
    Bei jedem Hammerschlag, bei jedem Aufjaulen der Kreissäge und bei jedem Klappern der Dixi-Klotür spürte ich das pralle Leben. Selbst die gewöhnungsbedürftige Radiosenderwahl der Handwerker war Musik in meinen Ohren. Der Lärm war unbeschreiblich. Sehr zur Freude unserer vornehmen Nachbarn, denen schon das Dixi-Klo im Vorgarten ein Dorn im Auge war. Glaser, Maurer, Elektriker und Schreiner gaben sich ein Stelldichein. Jeden Morgen ab sieben Uhr hörte man sie ihre Gerätschaften auspacken und lautstark palavern.
    Ja, wir wohnten zwei Jahre in der ehemaligen Dienstbotenwohnung. Wo wir uns sofort fühlten wie auf dem Abenteuerspielplatz. Wir lebten aus Umzugskartons und Koffern. Ich hatte mir bei Ikea ein paar praktische Papp-Kleiderschränke gekauft, die genau unter die Dachschrägen passten. Einen für mich und einen für die Kinder. Ganz oben unter dem Dach steht noch immer Stefans Schreibtisch, von dem aus er seine Geschäfte tätigt. Ich schlief mit meinen beiden Töchtern zunächst auf jener weißen Ausziehcouch, die damals von meiner Gehirnflüssigkeit befleckt worden war. Diesen einen Dienst musste sie uns noch erweisen - inzwischen liegt sie auf dem Sperrmüll. Stefan schlief mit den Jungs auf Luftmatratzen im hinteren
Dachstübchen. Sie hatten sich dort eine Art Indianerzelt gebaut, zu dem wir Mädels keinen Zutritt hatten. Im Erdgeschoss richteten wir eine Praxisfiliale ein, und im ersten Stock würden wir leben. Im zweiten Stock residierte Stefan mit seinem Büro. Beinahe so wie damals auf dem Billi-Dach.
    Unsere Villa wurde ganz schlicht eingerichtet. Aber bis es Weihnachten 2009 endlich so weit war, hausten wir wie die Hottentotten. Trotzdem genoss ich es. Dieses Leben erinnerte mich an London, an die Zeit, als Stefan in mein Leben trat. Und dort ist er noch heute, mehr denn je. Seit unserer Hochzeit in Hamburg 1994 sind sechzehn Jahre vergangen. Wenn ich mir überlege, was seit meinem Friseurbesuch am Hochzeitstag alles passiert ist, dann weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich habe mich für das Lachen entschieden, auch wenn mein Leben zwischendurch oft an einem seidenen Faden hing. Und Stefan mir, mit Verlaub, manchmal fürchterlich auf die Nerven ging. Es gab Momente, da wollte ich ihn an die Wand werfen. In der Hoffnung, es fiele ein Frosch hinunter. Aber er ist mein Prinz. Prinz Eisenherz. Einer, der nie aufgibt. Für den es keine Probleme gibt, sondern nur ungelöste Aufgaben. Ohne ihn hätte ich das alles nicht geschafft. Ich liebe ihn.
     
    Im Sommer flüchtete ich mit den Kindern oft ins nahe gelegene Naturgarten-Freibad, während Stefan gemeinsam mit dem Architekten und Handwerkern die Sanierung des Hauses vorantrieb. Wir saßen zu fünft
auf unserer Decke und frühstückten. Die Kinder fütterten die Spatzen und warfen ihnen Krümel zu. Dann schwamm Konstantin zwei Bahnen, und die Mini tauchte nach dem Ring. Carlos sprang vom Startblock und rief immer wieder: »Mami, guck mal!« Ich guckte. Stundenlang. Ich durfte einfach nur dasitzen und meine Kinder genießen.
    Ich selbst konnte nicht ins Wasser, denn ich hatte ein dickes, verbundenes Bein. Als kleine Erinnerung an meine Chemotherapie. Das Lymphsystem arbeitet auf der linken Seite leider nicht mehr richtig. Ein Bein ist dick, das andere mehr oder weniger schlank. Deshalb kann ich keine kurzen Röcke mehr anziehen und keine hübschen Kleider. Ach, das habe ich noch gar nicht erwähnt?
    Wissen Sie, das ist auch nicht weiter erwähnenswert. Wenn ich meinen
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