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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle
Autoren: Hera Lind
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schon mal frei …«
    So sauste ich in meiner Praxis hin und her, hörte zu, untersuchte, tröstete und munterte auf.
    Manchmal musste ich auch Krebs diagnostizieren. Wenn ich dann versuchte, meiner Patientin Mut zuzusprechen, wurde ich auch schon mal in die Schranken verwiesen.
    »Ach, Frau Doktor, Sie wissen doch überhaupt nicht, wie das ist. Sie können sich das gar nicht vorstellen - diese Angst!«
    Dann nickte ich und schluckte.
    Wenn du wüsstest!, dachte ich.
    Ich habe nie einer Patientin von meinem eigenen Schicksal erzählt. Und wenn ich Vorsorge predige, dann immer ohne jeden Bezug auf mich selbst.
    Ich bin Ärztin.
    Doch heute gibt es die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs. Ich verabreiche sie jeder Zwölfjährigen. Mein Schicksal steht auf einem anderen Blatt. Mein Schicksal muss bald keine Frau mehr erleiden.
     
    »Stefan, lass uns wieder in die Stadt ziehen!«
    Ich wollte endlich weg aus der Provinz. Dieser kleine Marktflecken barg so viele bedrückende Erinnerungen. Unsere beiden Großen gingen längst in die Schule. In
der Großstadt gab es auch viel mehr Möglichkeiten zur individuellen Förderung. Die Mini brauchte anfangs etwas länger, weil sie so viele traumatische Erlebnisse zu verarbeiten hatte, während Konstantin als hochbegabt eingestuft wurde und gleich die erste Klasse übersprang. Inzwischen ist sie Klassenprimus und hat die Nase vor ihrem Bruderherz. Und mich als alte Hamburgerin zog es schon lange wieder in ein städtisches Umfeld.
    Durch seine Tätigkeit im Bauwesen war Stefan auf eine sehr attraktive Hausversteigerung aufmerksam geworden. Es handelte sich um eine runtergekommene Villa aus den Dreißigerjahren. Sie befand sich auf einem herrlich verwunschenen Grundstück, umgeben von altem Baumbestand. Zugegebenermaßen in einer sehr angesagten Gegend: In der Nachbarschaft wohnten Wirtschaftsprüfer, Vorstände, Fußballprofis, Notare und Immobilienfürsten. Eine gehobene Klientel.
    Die höhere Tochter Konstanze Haber aus Hamburg erwachte wieder aus ihrem Dornröschenschlaf.
    »Oh bitte, Stefan, versuch alles, damit wir unser Traumhaus kriegen!«, bettelte ich wie ein kleines Mädchen, nachdem ich die alte Villa nur von außen gesehen hatte. Zusammen mit den Kindern sprang ich aufgeregt neben ihm her. »Wir könnten hier ganz neu anfangen! Und sieh doch nur, die Gebrüder-Grimm-Schule ist gleich um die Ecke!«
    Um dorthin zu gelangen, musste man nur durch den bezaubernden Park am Platnersberg gehen. Ein Spielplatz, das Naturgarten-Freibad und die 1846er-Tennisanlagen
warteten auf uns. Die Kinder tobten im Park, und Stefan nahm meine Hand. »Für dich hole ich die Sterne vom Himmel, Konstanze. Allerdings sind wir nicht die Einzigen, die das Haus kaufen wollen …«
    Nein. Als ich mich so umsah, bemerkte ich auffallend viele Spaziergänger mit ihren Familien, die ganz zufällig vor dem beeindruckenden Anwesen stehen blieben. Sie wiegten die Köpfe und schritten das Grundstück ab.
    Ein echtes Filetgrundstück!
    Sofort musste ich wieder daran denken, wie wir uns damals um meine Praxis beworben hatten, während Girtz schon am Gartentor lauerte. Nur dass es hier drei Dutzend Personen waren, die alle so einen begehrlichen Blick hatten!
    Hier wurde ein Handy gezückt, dort ein Grundriss ausgebreitet. Weitere dicke Autos fuhren vor.
    »Das Ding steht doch gar nicht in der Zeitung!«, murmelte Stefan kopfschüttelnd.
    »Oh bitte, Stefan, lass es uns kaufen! Bitte, bitte, bitte!«
    »Konstanze, habe ich je aufgegeben, wenn ich etwas wollte?«
    »Nein, Stefan, aber das hier will ICH! Und die Kinder lieben es auch!! Wir haben es uns VERDIENT, Stefan! Wir wollen endlich LEBEN!«
    »Konstanze, ich werde das organisieren. So wahr ich hier stehe.« Stefan sah mir tief in die Augen. »Wir bekommen die Villa. Verlass dich drauf!«
    Er legte den Arm um mich und spazierte betont lässig
in Richtung Spielplatz. Die Vögel zwitscherten in den Zweigen, die Kastanien blühten in voller Pracht, und es duftete süß und verheißungsvoll nach Zukunft. Sollte es das Schicksal endlich wieder gut mit uns meinen?
    »Na, ihr Racker, wer schaukelt am höchsten? Los, Konstantin und Carlos, wir wippen gegen Mami, Charline und Catherine! Wetten, dass wir schwerer sind als die Mädels?«, rief Stefan ausgelassen.
    Und dann wippten wir um die Wette, lachten und ließen uns in den warmen Sand fallen, und der Himmel war so blau, wie er nur im Frühling sein kann.
    An einem späten Junitag im Jahr 2007 fand dann die
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