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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle
Autoren: Hera Lind
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schon wieder los?«
    »Ein markanter SCC-Anstieg«, flüsterte Anja und zeigte auf das Messgerät. Der Professor starrte über seinen Brillenrand.
    Seine Anwesenheit tat mir gut. Mein Herz hörte auf, wie wild gegen meine Rippen zu schlagen. Meine Schläfen hörten auf zu dröhnen, und der Schwindel ließ ebenfalls nach. Der Professor bestand darauf, die Auswertung persönlich vorzunehmen.
    »Null Komma DREI«, stellte er fest. »Genau wie es sein soll.« Das sagte der einfach so locker vor sich hin!
    Sein Blick durchbohrte die Laborantinnen, die blass in einer Ecke standen, bevor er mich traf und ganz weich wurde.
    »Die Maschine war nicht richtig eingestellt.«
    Den beiden Laborantinnen blieb der Mund offen stehen.

    Ich bekam eine Gänsehaut, die Haare standen mir buchstäblich zu Berge, als ich zitternd versuchte, mich aufzurichten. Hastig blinzelte ich die aufsteigenden Tränen weg.
    »Das nächste Mal justieren Sie die Gerätschaften wirklich ganz exakt!«, schnauzte der Professor die Laborantinnen an. »Mit solchen Informationen kann man Menschen nun wirklich ganz verrückt machen!« Mit diesen Worten verließ er wütend den Raum.
    An diesem Abend spielte ich mit meinen Kindern Memory. Teilnahmslos starrte ich vor mich hin. Der Schreck saß mir immer noch in den Gliedern. Mechanisch griff ich nach irgendwelchen Karten und legte sie wieder ab. Dann deckte die kleine Mini ein Kätzchen auf, und ihr strahlendes Kinderlächeln holte mich auf die Welt zurück.
    Das ist das Leben, dachte ich. Das. Und nichts anderes.
    Auch wenn ich in den Jahren danach schon Tage vor der Untersuchung nicht schlafen konnte und vor Angst zitternd auf der Untersuchungsliege saß: Die Werte blieben stabil. Sie blieben bei 0,3. Null Komma drei.
    Ich war wieder unter den Lebenden.

37
    Morgens um fünf stand ich auf, schlich mich ins Bad, duschte und machte mir die Haare schön. Inzwischen hatte ich wieder welche, und die waren natürlich mein ganzer Stolz! Die neuen waren nicht mehr brünett wie früher, sondern strahlend blond. Na gut, unter uns: Mithilfe meiner griechischen Freundin Eleni hatte ich etwas nachgeholfen. Jetzt war der Blick in den Spiegel der reinste Grund zur Freude: Die Frau Doktor fühlte sich wie neugeboren.
    Und das war sie schließlich auch!
    Ich ging einmal durchs Haus und beseitigte alle Spuren von verschüttetem Kakao und erledigte das, was ich gegen Mitternacht vor lauter Müdigkeit nicht mehr geschafft hatte. Mit anderen Worten: Ich tat die Handgriffe, die jede Mutter kennt: Ich hängte wahllos herumliegende Jacken und Hosen auf, legte frische Wäsche heraus, räumte acht einzelne Pantöffelchen vom Sofa, ordnete sie ihren rechtmäßigen Besitzern zu und räumte die Spülmaschine aus.
    War das ein Grund zum Jammern? Nein. Eher einer zum Jubeln.
    Dann machte ich für alle das Frühstück und weckte die Kinder. Ich zog sie an, aß mit ihnen, füllte vier verschiedenfarbige
Tupperdosen mit Butterbroten und klein geschnittenen Äpfeln und brachte meine Süßen in den Kindergarten und zur Schule. Auf der Fahrt sangen wir fröhlich »Fritzi das Böckchen ist wieder unterwegs - gib ihm Schokolade oder gib ihm schnell’nen Keks!« zu der neuen Kinderlieder-CD.
    Die Erzieherinnen waren ebenso meine Patientinnen wie die Mütter der anderen Kinder. Sogar die Schülerlotsin, die den Zebrastreifen bewachte, hatte mir ihre Geheimnisse anvertraut.
    Um sieben öffnete der Billi-Markt.
    »Ah, guten Morgen, Frau Doktor! Haben Sie keinen Euro für den Einkaufswagen? Hier, Moment, ich schließ Ihnen einen auf!«
    Die freundliche Bäckerin, die Verkäuferin an der Fleischtheke, die Frau am Gemüse und die Kassiererin: Sie alle waren meine Patientinnen.
    »Wissen Sie, ich hab so einen komischen Ausfluss seit vorgestern und ein Brennen beim Wasserlassen … Was sagten Sie noch? Drei Plunderteilchen mit Füllung? Aber gern, Frau Doktor!«
    Um halb acht tänzelte ich die Stufen zu meiner Praxis empor. Brigitte, meine Lieblingshelferin, reichte mir die erste Tasse Kaffee.
    »Frau Schilling in der Eins und Frau Henff in der Zwei. Frau Dittrich hat angerufen, sie hat Wehen. Und der Ärztliche Kreisverband will wissen, ob Sie heute Abend zur Versammlung kommen. Im Sprechzimmer wartet Frau Althaus.« Um dann flüsternd fortzufahren: »Pilz. Braucht Canesten.«

    »Ich komme schon!« Im Laufen stellte ich bereits das Rezept aus.
    »Telefonische Anmeldungen allein für heute zweiundfünfzig.«
    In Ordnung. Frau Schilling, machen Sie sich
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