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Terror auf Stiles Island

Terror auf Stiles Island

Titel: Terror auf Stiles Island
Autoren: Robert B. Parker
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    Wenn er nicht schlafen konnte – was zum Glück immer seltener der Fall war –, setzte sich Jesse Stone hinters Steuer seines schwarzen Ford Explorers und kurvte durch das nächtliche Paradise, Massachusetts. Als er sich aus L.A. verabschiedet hatte, um hier seinen Job als Polizeichef anzutreten, hatte er in diesem Wagen die gesamten USA durchquert. Er liebte die Nächte, in denen der Regen wie ein Messer durch die Dunkelheit schnitt und die Straßen im Scheinwerferlicht glänzten. In einer Nacht wie dieser, ging es ihm durch den Kopf, wäre er auch gerne Marshall im Wilden Westen gewesen. Er hätte sich die Öljacke übergezogen, den Hut tief ins Gesicht gedrückt, hätte sich in den Sattel geschwungen und das Pferd einfach ziellos laufen lassen.
    Er rollte langsam am Rathausplatz vorbei, am weißen Gemeindehaus im Kolonialstil, auf dessen Dach der Regen nun schon seit 200 Jahren trommelte. Das blaue Schimmern der altmodischen Straßenlampen, deren Lichtkegel im Regen zu verschwimmen schienen, hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Es gab – die Scheinwerfer seines Explorers ausgenommen – keine andere Lichtquelle in diesem Teil der Stadt. In den gepflegten Häusern mit ihren großzügigen Rasenflächen, geschmackvoll um das Gemeindehaus gruppiert, war es dunkel und still. Nirgendwo eine Bewegung. Die Stadtbücherei schien ausgestorben, ebenso die High School mit ihren roten, im Regen glänzenden Backsteinen. Als er auf den Parkplatz bog, wirkten die pechschwarzen Fenster selbst im Licht seiner Scheinwerfer abweisendund undurchdringlich. Er hielt für einen Augenblick an und schaltete das Fernlicht ein. Im Scheinwerferlicht war die Raute des Baseballplatzes zu erkennen, das verrostete Abfanggitter hinter dem Catcher , der Gummibelag auf dem Hügel des Pitchers , selbst die Kuhle vor dem Gummi: Anscheinend gab es hier genügend ambitionierte High-School-Kids, die sich mit ihrer Wurftechnik an großen Pitcher -Idolen wie Nolan Ryan orientierten. Als er selbst in der Zweiten Profi-Liga gespielt hatte, war er auf der Position des Shortstop die ideale Besetzung: Er hatte einen mordsmäßigen Arm, kräftiger sogar als der von Rick Burleson, und konnte den Ball selbst aus weitester Entfernung punktgenau werfen. Er war auch als Läufer nicht übel, war fangsicher und hatte für einen Feldspieler einen passablen Schlag. Aber es war sein Wurfarm, der Großes zu versprechen schien. Seine Eintrittskarte zur großen Karriere. Jesse rieb sich seine rechte Schulter und starrte aufs Baseballfeld hinaus. Er erinnerte sich noch genau an den Augenblick, als ihn der Schmerz traf wie ein Blitz. Es war zu Beginn eines Double Play und er schaffte es locker, die beiden gegnerischen Spieler auszuschalten. Aber es sollte das Ende seiner Karriere bedeuten …
    Jesse ließ den Wagen wieder rollen, wendete und fuhr auf die Main Street zurück, diesmal Richtung Meer. An einem leeren Parkplatz beim Paradise Beach hielt er erneut an, ließ den Motor aber auch diesmal laufen. Der Regen schien den Geruch des Wassers noch zu verstärken. Im Licht der Scheinwerfer donnerten die Wellen heran, schwollen an, bildeten Schaumkronen, um dann krachend in sich zusammenzubrechen. ImVergleich zum schwarzen Ozean war selbst der prasselnde Regen nur eine Bagatelle. Eine Thermosflasche mit Piña Colada wäre jetzt keine schlechte Idee, dachte er, dazu vielleicht noch etwas Musik.
    Unweigerlich wanderten seine Gedanken zu Jenn. Sie war ein Naturtalent, was die romantischen Momente betraf. Wenn sie jetzt neben ihm säße, würde sie sich mit geschlossenen Augen zurücklehnen, würde mit ihm sprechen und ihm zuhören, würde die nächtliche Stunde und den Regen und das Rauschen des Meeres in vollen Zügen genießen. Und sie würde dieses Gefühl auch bereitwillig mit ihm teilen. Manchmal dachte er, dass es diese Momente waren, die er am meisten vermisste. Selbst zehn Jahre in der L.A.-Mordkommission hatten seiner romantischen Ader letztlich nichts anhaben können. Sicher, all seine bisherigen Erfahrungen führten zu der Schlussfolgerung, dass die große Liebe wohl eher Seltenheitswert hatte. Aber gerade ihre Unbegreiflichkeit hatte Jesse davon überzeugt, dass die Hoffnung auf Liebe das letzte Bollwerk gegen Selbstzweifel und Verzweiflung war.
    Gut möglich, dass es Jenn ähnlich erging. Obwohl ihre Scheidung nun schon länger zurücklag, waren sie in Kontakt geblieben. Als sie im letzten Jahr gehört hatte, dass es ihm schlecht ging, war sie umgehend an die
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