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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land
Autoren: Elisabeth Buechle
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seitlich in Richtung der Dünen davongetrieben wurde.
    »Ich will hier nicht weg!«, schrie sie gegen den peitschenden Wind an, wobei sie den Schmerz ignorierte, den sie sich durch den derben Tritt gegen das mit Feuchtigkeit vollgesogene Holzstück zugezogen hatte.
    »Wie konnte Tilla das nur tun?« Auch diesen entrüsteten und zugleich verzweifelten Ruf trug der Wind mit sich fort.
    Sie wandte sich dem schäumenden Meer zu und watete in die ausrollenden Wellen, bis das kalte Wasser bei jeder Woge gegen ihre Knie schwappte und die Gischt ihren Körper einhüllte.
    Tilla, Demys sechs Jahre ältere Halbschwester, hatte sich in diesen Tagen mit Joseph Meindorff aus Berlin verlobt, so wie es ihr Vater gewünscht und vereinbart hatte.
    Die Familie Meindorff besaß in der aufstrebenden Hauptstadt Preußens ein gut gehendes Unternehmen in der Elektrobranche und ein standesgemäß herrschaftliches Stadthaus. Allerdings hatte man Demy für zu jung befunden, um ihr zu erklären, welche Vorteile ihr Vater sich von dieser arrangierten Vermählung seiner ältesten Tochter ins Deutsche Reich erhoffte. Doch ließ die Vehemenz, mit der er das anvisierte Ziel verfolgt hatte, sie zumindest erahnen, dass diese Vorteile nicht unbeträchtlich waren.
    In den Augen ihrer Schwester war Demy allerdings alt genug, ihr in Berlin als Gesellschafterin zu dienen – was auch immer sie als solche tun sollte.
    Demy wurde durch eine Stimme, die ihren Namen rief, in ihren aufgebrachten Gedanken und düsteren Überlegungen unterbrochen. Da sie es bei solch unwirtlichem Wetter eigentlich gewohnt war, den Strand für sich allein zu haben, drehte sie sich überrascht und neugierig in Richtung Dünen um, wobei sich ihr Rock schwer und nass um ihre Beine wickelte.
    Zu ihrer Verwunderung erkannte sie Tilla, und bei ihrem Anblick brodelte erneut unbändige Wut in ihr auf. Ihre Schwester winkte auffordernd mit einer Hand und signalisierte Demy, dass sie aus dem Wasser und zu ihr hinüberkommen solle.
    Im Gegensatz zu der nachlässigen Bekleidung des jüngeren Mädchens trug Tilla Schuhe, hatte sich einen Wettermantel umgelegt und schützte ihre Frisur mit einem um den Kopf geschlungenen Schal.
    Die beiden älteren van Campen-Mädchen, Tilla und Anki, waren noch in den Genuss einer vollständigen, gehobenen Ausbildung durch ihre deutsche Mutter und nach deren Tod der ebenfalls deutschen Stiefmutter sowie einer Erzieherin gekommen. Kurz nach dem Tod von Erik van Campens zweiter Frau bei der Geburt ihres jüngsten Kindes, Erik Feddo, hatte die Erzieherin aus unbekannten Gründen die Familie verlassen. Jedenfalls waren die exquisite Ausbildung und der Hausunterricht von Tilla und Anki zwar vollendet, für Demy und Rika jedoch beides frühzeitig abgebrochen worden.
    Dementsprechend frei und ungebunden waren Demy und ihre beiden jüngeren Geschwister aufgewachsen, und da sie anstelle des Hausunterrichts eine reguläre Schule besuchten, hatten sie viele Schulkameraden
    »Was willst du?«, rief Demy ihrer Schwester über das Brausen des Windes und das Donnern der Brandung zu, blieb aber in den schäumenden Wellen stehen. Entweder musste Tilla ebenfalls ins Wasser waten oder sich gegen den Wind brüllend mit ihr unterhalten. Und beides, das wusste Demy, würde Tilla missfallen, da es ihrer guten Erziehung zuwiderlief.
    Erneut winkte Tilla, was Demy veranlasste, trotzig ihre Hände in die noch schmalen Hüften zu stemmen, den Kopf leicht schief zu legen und ihre Schwester herausfordernd anzugrinsen.
    »Demy, es hat doch keinen Sinn, sich gegen bereits getroffene Abmachungen aufzulehnen. Diese Anstellung bei den Meindorffs ist das Beste, was dir passieren kann. Weshalb nur willst du das nicht einsehen?«, rief Tilla schließlich über das Tosen der Wellen hinweg.
    »Was soll ich in dieser großen Stadt in einem fremden Land? Nur weil du dort hinziehen und diesen komischen Mann heiraten willst, kannst du nicht von mir verlangen, dass ich mitkomme!«, brüllte Demy zurück, während der Wind kräftig an ihren nassen Kleidern zerrte.
    »Ich wünsche es aber, und es ist angebracht! Außerdem wurde deine Anstellung im Hause Meindorff bereits vertraglich geregelt.« Tilla sah sie streng an.
    »Papa ist auch nicht mit deinen Plänen einverstanden!«
    »Er hat unterschrieben. Das allein zählt!«
    »Wie ist es dir bloß gelungen, ihn dazu zu überreden? Er hatte mir versprochen, dass ich nicht fortmuss!« Demys Stimme überschlug sich. Ärger und Enttäuschung brodelten in ihr
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