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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land
Autoren: Elisabeth Buechle
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so wild wie die gischtgekrönten Wellen um sie herum.
    Demy sah, wie Tilla tief durchatmete. Das Gesicht ihrer Schwester hatte eine für sie ungewöhnlich rote Farbe angenommen, und das lag nicht nur am scharfen Wind.
    »Komm jetzt bitte aus dem Wasser! Ich möchte mich nicht länger brüllend mit dir unterhalten müssen.«
    Das Mädchen zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Dann komm du doch zu mir!«
    Ihre gerunzelte Stirn zeigte überdeutlich Tillas Missbilligung, aber zu Demys Verwunderung bückte sich ihre Halbschwester tatsächlich und schnürte ihre Stiefeletten auf. Nachdem Tilla sich ihrer Schuhe und der Strümpfe entledigt hatte, schaute sie prüfend den menschenleeren Strand entlang, hob ihren im Gegensatz zum eng geschnürten und mit Spitzen besetzten Oberteil weitfließenden Rock samt Unterrock in die Höhe und stapfte in die Wellen. Ihr erschrockener Ausruf, als sie die Kälte des Wassers spürte, drang bis zu Demy herüber, die erstaunt das Tun ihrer sonst so standesbewussten Schwester beobachtete. Offensichtlich war Tilla die Unterhaltung mit ihr sehr wichtig!
    »Meine Güte, ist das kalt!«, japste Tilla.
    Demys Lachen wurde vom Wind davongetragen, während Tilla tapfer zu ihr watete, krampfhaft darum bestrebt, ihren Rock nicht den um ihre schlanken weißen Beine platschenden Wellen auszuliefern.
    »Demy, vermutlich kannst du heute noch nicht ermessen, wie sehr ich um dein Glück bemüht bin.«
    »Dann erkläre es mir!«
    »Du würdest es nicht verstehen!« Tilla versteckte ihre Hilflosigkeit hinter einer autoritären Stimme und bedrohlich zusammengezogenen Augenbrauen. Beides wirkte auf die verstimmte Dreizehnjährige allerdings wenig einschüchternd.
    »Verstehst du es denn überhaupt selbst?«, hakte das Mädchen unbarmherzig nach.
    »Natürlich.«
    »Ich möchte nicht fort von hier«, verlegte Demy sich nun aufs Flehen und hoffte, dass Tilla ihren Schmerz erkannte und doch noch nachgab. »Ich lebe gern hier am Meer, in unserem Gutshaus, bei Papa, Rika und Feddo.«
    »Du wirst in Berlin viel Neues und Aufregendes kennenlernen. Die Stadt entwickelt sich in rasanter Geschwindigkeit zu einer aufregenden Metropole.«
    Unwillig wandte Demy sich ab und ließ ihren Blick über die aufgewühlte Nordsee bis an das rosafarbene Band schweifen, das den Himmel vom Meer trennte. Eigentlich wollte sie all das nicht mehr hören. Wieder ballte sie wütend ihre Hände, woraufhin Tilla erschrocken zurückwich und beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Mit einem Schreckensruf ließ sie den zusammengerafften Rock fallen, der unbarmherzig der Schwerkraft folgte und ins Wasser sank. Die Wellen zerrten wild an dem weich fließenden, fliederfarbenen Stoff.
    Tilla schloss die Augen und atmete mehrmals tief ein und aus, um sich selbst zu beruhigen.
    »Welchen Gewinn hast du davon, wenn du uns alle verschacherst?«, fuhr Demy unbeeindruckt fort. »Vergangenes Jahr hast du Anki mit dieser russischen Familie mitgeschickt, und nun lebt sie seit über einem Jahr im kalten, fernen St. Petersburg, und jetzt hast du es auf mich abgesehen!«
    »Ich gewinne dabei gar nichts. Aber ihr, du und Anki! Hast du Ankis Briefe nicht gelesen? Sie schreibt mit so viel Begeisterung vom Leben in Russland, davon, dass sie den Zaren Nikolaj II und die Zariza Alexandra gesehen hat. Anki spricht unterdessen recht gut Russisch und fühlt sich in St. Petersburg zu Hause. Sie ist mir dankbar – und das wirst du eines Tages ebenfalls sein!«
    Demy, die den Eindruck hatte, dass Tilla sie am liebsten packen, schütteln und anschreien würde, ärgerte sich über deren strengen, aber dennoch beherrschten Tonfall. Andererseits wurde ihr in diesem Moment schmerzlich bewusst, wie gering ihre Chance war, sie umzustimmen. Und zudem – ihr Vater hatte den Vertrag unterzeichnet. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als sich dem Willen ihrer Schwester und ihres Vaters zu beugen. Ob sie wollte oder nicht – sie musste in das ferne Berlin ziehen.
    ***
    Demy fand, sie habe sich wirklich alle Mühe gegeben, doch sie konnte Joseph Meindorff, Tillas Verlobten, nicht leiden. Unter seinem schwarzen, streng nach hinten frisierten Haar lagen dunkle Augen, die ihr allzu kalt und unfreundlich dreinblickten. Der schmale Mund mit dem akkurat geschnittenen Schnurrbart passte in ihren Augen perfekt zu seinem herrischen und arroganten Auftreten. Das Mädchen beobachtete gelangweilt, wie Feddo sich aus der Tür in den Garten hinausschlich, während ihr Vater das im Licht
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