Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo
Autoren: bach
Vom Netzwerk:
nichts für all ihre Lieben tun. Sie musste um das eigene Überleben kämpfen. Für Elisabeth, ihr Kind, das sie nicht allein lassen wollte…
    » Trink«, sagte George und hielt ihr die gefüllte Kalebasse an den Mund. » Es ist nicht mehr weit. Die größte Wegstrecke liegt schon hinter uns.«
    » Danke…«
    Sie trank mit geschlossenen Augen; als sie die Kalebasse absetzte, kniete er immer noch dicht neben ihr. Sacht hob er den Finger und wischte einen Tropfen von ihrem Kinn.
    » Weißt du, dass ich damals alles darum gegeben hätte, mit dir durch die Wüste reiten zu dürfen?«, fragte sie leise.
    » Das habe ich geahnt, Charlotte. Ich dachte sogar ernsthaft daran, dich nach Kairo einzuladen. Wärest du gekommen?«
    » Stehenden Fußes. Aber ich weiß nicht, was daraus geworden wäre…«
    » Nichts Gutes«, erwiderte er ernst.
    Sie setzten den Weg fort. Zweimal noch mussten sie sich im dürren Buschwerk des Flusslaufs vor kriegerischen Eingeborenen verstecken. Sie alle strebten nach Nordosten, möglicherweise sammelten sie sich an einem bestimmten Ort, um die Küstenstädte der Kolonialherren anzugreifen. Die schwarzen Kämpfer zogen eilig durch die hitzeglühende Landschaft, gingen auf unbekannten Pfaden, die sie ohne Umwege zu ihrem Ziel führten. Diese Menschen waren hier zu Hause– nie war Charlotte der Sinn dieses Satzes so deutlich geworden.
    Gegen Abend stieg die Landschaft zu beiden Seiten des Flusses an, schmale Rinnen zogen sich von den Hügeln zum Strom hinab, sie führten jedoch kein Wasser. Dennoch fanden sich immer häufiger einzelne Schirmakazien und Tamarinden, an deren Ästen noch ein wenig Grün verblieben war. In einer Ausbuchtung des Tales entdeckten sie mehrere kleine Erhebungen, die sie zuerst für rötliches Felsgestein hielten, doch es waren die Reste eines verlassenen Dorfes, kreisrunde Lehmhütten, um eine Tamarinde gruppiert, die einst der Mittelpunkt der Siedlung gewesen war. Dächer gab es keine mehr, die Wände waren in der Regenzeit aufgeweicht und fortgespült worden, nur die größte der Hütten hatte noch einigermaßen standgehalten. Aus den brüchigen Lehmwänden ragten die ausgebleichten Holzstangen hervor, der Eingang war eine breite Lücke, die Wind und Hitze beständig erweiterten.
    » Weshalb mag das Dorf verlassen sein?«
    » Das kann viele Gründe haben. Eine Seuche. Ein Überfall eines feindlichen Stammes. Vielleicht auch das Ausbleiben der Regenzeit. Wenn der Fluss ganz und gar austrocknet, ist hier kein Leben mehr möglich…«
    Die Nacht war nahe. Sie suchten den Innenraum der Ruine nach Schlangen und anderem Getier ab, dann brachen sie trockene Äste von der Tamarinde, um den Hütteneingang notdürftig zu verschließen. Sie arbeiteten Hand in Hand, waren eine verschworene Gemeinschaft gegen die feindliche Wildnis, vergaßen niemals, Hügel und Flusslauf im Auge zu behalten. Als sie die Äste vor dem Eingang ablegten, setzte sich Charlotte müde auf den Boden und trank ein wenig Wasser. Die sinkende Sonne lag rostrot auf den kahlen Hügeln, zeichnete die schwarzen Formen der Tamarinden nach, blitzte gelb und weiß auf dem ruhig dahinfließenden Strom.
    » Dieses Haus hat brüchige Wände und keine Tür«, hörte sie George heiter sagen. » Der Wind bläst Staubwolken daraus empor, und die Löwen sind unsere Nachbarn.«
    Sie wandte lächelnd den Kopf und sah ihn an: das Haar von der Sonne gebleicht, die Kleidung an vielen Stellen zerrissen, fleckig, voller Staub. Die Anstrengungen der vergangenen Tage hatten sich in seinem Gesicht eingegraben, aber die Spottlust war ihm dennoch nicht vergangen.
    » In der Nacht umgibt uns das Lied der Wildnis, und der tausendfach gestirnte Himmel ist unser Dach«, fuhr er leise fort. » Willst du mit mir in dieses Haus eintreten?«
    » Oh, George! Du wirst wohl niemals aufhören, deine Scherze zu machen!«
    » Ich meine es ernst, Charlotte.«
    Ein Kreis schloss sich. Schweigend lagen sie nebeneinander, hörten auf die Geräusche der nächtlichen Savanne, die verschlungene, vielstimmige Melodie des Werdens und Vergehens. Sie sahen die Lichter an der dunklen Himmelskuppel erscheinen, zuerst blass, dann immer deutlicher, bis sich das Firmament auf sie herabsenkte und sie umhüllte. Dann erst zog George sie an sich. Es gab keine Erinnerungen mehr, keine enttäuschten Hoffnungen, keine Irrtümer, keine Zweifel– es gab nur ihre Sehnsucht, die sie über all die Jahre hinweg nie verloren hatte und die sich in dieser Nacht zwischen Leben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher