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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo
Autoren: bach
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an bei uns bleiben, mein Kind.«
    » Bis zum Sommer– das weiß ich doch, Großvater.«
    » Nein Charlotte. Für immer.«

Sie wollte es nicht glauben. Jonny und ihre Eltern waren auf einem Schiff weit draußen auf dem großen Ozean, da konnte sie doch niemand sehen. Schon gar nicht die Reederei in Bremen, die einen Brief an Superintendent Doden geschrieben hatte. Gar nichts wussten die, nicht einmal die Adresse ihres Großvaters, sonst hätten sie das Schreiben doch gleich an ihn geschickt.
    » Der Sturm wütete in Küstennähe, nicht weit von Bombay«, schluchzte Tante Fanny, wenn die schwarz gekleideten Besucher in der guten Stube saßen. » Sie konnten die Küste schon sehen, aber wegen des Sturms ist der Dreimastfrachter wieder aufs offene Meer hinausgesegelt. Tage später wurden Trümmer an Land gespült. Keiner hat überlebt, alle liegen jetzt unten auf dem Meeresgrund…«
    Tante Fanny weinte schrecklich viel, vor allem, wenn die Trauergäste ihr zuhörten. Dann erzählte sie auch gern von ihrem verstorbenen Ehemann Peter Budde, der Buchbinder gewesen war. Er hatte eine kleine Werkstatt in der Süderkreuzstraße gehabt und immer zu viel gearbeitet. Von dem Staub und dem Leim habe er husten müssen, daraus sei eine Lungenentzündung geworden und schließlich die Schwindsucht.
    » Wen der Herr liebt, den ruft er früh zu sich…«
    » Das Meer nimmt sich sein Opfer immer dann, wenn man es am wenigsten erwartet…«
    » Nun ist die lütte Deern ganz allein auf der Welt.«
    Charlotte musste schwarze Sachen anziehen, und manchmal führte Tante Fanny sie in die gute Stube, wo die Trauergäste mit Milchkaffee und Kuchen bewirtet wurden. Dann redete man tröstend auf sie ein, rief Gott den Herrn als ihren Beschützer an, und– das war das Abscheulichste– einige der Frauen drückten sie mütterlich an die Brust, quetschten sie fast tot und streichelten dabei schluchzend ihr Haar.
    » Es ist doch gar nicht wahr«, flüsterte sie Klara abends im Bett zu. » Wenn der Sommer zu Ende ist, dann kommen sie, um mich abzuholen. Und das nächste Mal darf ich mit– das hat Papa mir hoch und heilig versprochen.«
    » Du hast recht«, wisperte Klara. » Sie kommen bestimmt. Ich werde sehr traurig sein, wenn du wieder in Emden bist, Charlotte.«
    » Du musst nicht traurig sein, Klara. Ich bitte Mama, dass du bei uns wohnen kannst. Dann bleiben wir für immer zusammen.«
    » Still jetzt!«, zischte Tante Fanny von ihrem Bett herüber. » Es ist zum Auswachsen mit euch. Den ganzen Tag muss man arbeiten, dazu noch der Herzenskummer, und dann hat man nicht einmal seine Nachtruhe!«
    Am Sonntag nach Pfingsten gab es eine Trauerfeier in der Lutherischen Kirche für ihre Eltern und für Jonny, zu der viele Verwandte gekommen waren. Vorn beim Altar war alles bunt von Blumensträußen und Kränzen, und der Kirchenraum, der sonst muffig nach feuchtem Stein und Holz roch, duftete süßlich nach den Maiblüten. Charlotte musste in der ersten Stuhlreihe zwischen den Großeltern sitzen, sie konnte Tante Fanny und Ettje schluchzen hören, auch Tante Edine aus Aurich und ihre beiden Töchter Marie und Menna weinten die ganze Zeit. Die Großeltern saßen mit unbewegten Gesichtern da und weinten nicht, nur an dem Glitzern in den Augen der Großmutter und an ihren ineinander verkrampften Händen konnte man sehen, wie nahe sie den Tränen war.
    Als die Orgel zum Ausklang spielte, standen die Großeltern auf, und Charlotte musste mit ihnen durch den Mittelgang zur Kirchentür schreiten, es folgten die beiden Brüder ihres Vaters, Wilhelm und Gerhard, dann Tante Fanny mit Ettje, Klara und Paul, und danach kam Tante Edine mit ihrem Mann Pastor Harm Kramer und den beiden Töchtern. Alle anderen waren in den Bänken sitzen geblieben und starrten sie an, während sie vorüberzogen. Es war beklemmend, dass alle so fest davon überzeugt schienen, dass Charlottes Eltern und Jonny tot waren. Aber wenn jemand starb, dann gab es doch einen Sarg, in den man seinen Leichnam legte. Und ein Grab auf dem Friedhof mit Blumen und einem Kreuz aus Eisen oder einem Stein. Dann erst war jemand tot– nicht, wenn er einfach nur auf dem Ozean verschwunden war. Vielleicht waren sie auf einer Insel gestrandet. In Afrika angelandet. Oder das Schiff schwamm noch irgendwo auf dem Meer herum und würde die Tage in den Hafen von Bombay einlaufen.
    Die Lehrer in der Schule strichen ihr übers Haar und nannten sie » arme Kleine«, einige wenige Jungen und Mädchen sagten, dass
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