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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo
Autoren: bach
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es ihnen sehr leidtäte, die meisten Mitschüler waren jedoch wie immer. Charlotte mochte die Schule in Leer nicht, sie fand sie düster und hässlich, die Kinder waren dumm, und sie hatte dort keine Freundin. Sie wollte zurück in ihre Schule in Emden, dort konnte sie mit Ernestine und Juliane spielen, die dicke Anna mit den roten Zöpfen saß neben ihr, und die Lehrerin konnte sogar Englisch. Mama sprach meistens Englisch; wenn sie deutsch redete, klang es oft lustig, weil sie so viele Fehler machte.
    Der Großvater war jetzt oft in Emden, manchmal nahm er die Großmutter mit, dann blieben die Kinder mit Tante Fanny allein, und wenn sie von der Schule heimkamen, wurde in der Küche gegessen.
    » Du bist reich«, sagte Ettje missgünstig. » Du kriegst alles, was deinen Eltern gehört hat.«
    Charlotte starrte in ihren Suppenteller und fuhr langsam mit dem Löffel durch die braungelbe Masse. Bohnen, Möhren, Zwiebeln, Stückchen von Kartoffeln, Suppengrün. Warum konnte sie sich nicht die Ohren zustopfen? Warum sagten die anderen immer solche Dinge, die doch nicht wahr sein konnten?
    » Ich will nichts!«
    » Du kannst es ja mir schenken!«
    » Gar nichts bekommst du. Niemand kriegt etwas.«
    » Doch! Du! Großmutter hat gesagt, dass sie euer Haus in Emden verkaufen und alle Möbel und was sonst darin ist. Alles! Und dafür bekommen sie viel Geld. Das gehört dann dir.«
    Charlotte ließ den Löffel fallen, sprang auf und griff wütend in das flusige Haar ihrer Cousine.
    » Das lügst du!«, kreischte sie und zerrte an Ettjes Haaren. » Sie können unser Haus nicht verkaufen, das gehört ihnen nicht! Das gehört Papa!«
    Ettje zeterte und versuchte, sich zu befreien. Dabei tauchte sie mit der Nase in den heißen Suppenteller, und hätte Klara nicht rasch zugegriffen, wäre die Suppe samt Teller auf dem Fußboden gelandet. Tante Fanny machte nicht viel Federlesens, packte Charlotte an den Armen und zerrte sie auf ihren Stuhl zurück, dann verabreichte sie ihrer Nichte zwei feste Ohrfeigen. Anschließend beugte sie sich über den Tisch, um der heulenden Ettje ebenfalls eine Backpfeife zu geben.
    » Ich hab doch nichts gemacht!«, jammerte Ettje.
    » Das ist für dein loses Mundwerk!«
    » Ich hab nur die Wahrheit gesagt!«
    » Still. Jetzt wird gegessen. Nachher machst du den Abwasch, Ettje. Und Charlotte fegt aus.«
    Charlotte weinte nicht. Schweigend saß sie vor ihrem Teller, spürte kaum, dass ihre Wangen von den Schlägen glühten. In ihrem Inneren war ein dunkler Schmerz aufgestiegen, der sich unaufhaltsam in ihrem Körper ausbreitete. Papa und Mama waren nicht mehr da, die Wärme, der Halt, der Schutz, den ihre Eltern ihr gegeben hatten, mit ihnen verschwunden. Ungestraft konnte man ihr Elternhaus verkaufen, Mamas Möbel, Papas Bücher und seine Sammlungen, ihre Spielsachen und auch Jonnys Ritterburg mit den Reitern und Pferden. Ungestraft konnte Tante Fanny jetzt auch sie ohrfeigen, musste sie sich doch keine Sorgen mehr machen, dass Papa sie dafür schelten könnte.
    » Ihr werdet schon sehen, wenn sie zurückkommen!«, rief sie trotzig.
    Sie weinte erst am Abend, als sie mit Klara im Bett lag und Ettje mit Tante Fanny noch unten in der Küche war. Klara hielt sie mit beiden Armen umfangen, und Charlotte schluchzte in das Nachthemd der Cousine hinein, bis es von ihren Tränen durchweicht war.
    » Das macht nichts«, wisperte Klara, als Charlotte sich beruhigt hatte und sie fest aneinandergeschmiegt dalagen, um miteinander in das Land der Träume und des Vergessens zu reisen. » Die Hauptsache ist, du hast dich ausgeheult.«
    Der Frühling ging dahin, und der Sommer kam. Über dem Sofa in der Wohnstube hing jetzt ein gerahmtes Foto, das Charlottes Mama kurz vor der Reise in einem Atelier in Emden hatte aufnehmen lassen. Mama saß in einem ihrer schönen Kleider auf dem Stuhl, hinter ihr stand Papa in seiner Kapitänsuniform, aber ohne Mütze, so dass man sein krauses, helles Haar sah. Jonny und Charlotte hatte der Fotograf rechts von Mama aufgestellt, Jonny trug eine Jacke, dazu Knickerbocker und Stiefel. Die Stiefel waren eng gewesen, und Mama hatte lange reden müssen, damit er sie anzog. Papa stützte die rechte Hand auf die Stuhllehne in Mamas Rücken, die linke lag auf Charlottes Schulter. Hin und wieder hatte er sie ein wenig mit den Fingern gezwickt und sie damit zum Kichern gebracht. Es war schrecklich anstrengend gewesen, so lange ruhig zu stehen und in die große, schwarze Öffnung der Kamera zu
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