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Die Erfuellung

Die Erfuellung

Titel: Die Erfuellung
Autoren: Catherine Cookson
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    Während der Bus Morpeth hinter sich ließ und Ulgham und Widdrington passierte, veränderte sich die Landschaft. Das Farmland wich kahlen, steinigen Hängen mit kleinen, von Trockenmauern eingefassten Feldern. Hie und da tauchte die Straße in ein geschütztes Tal ein, das eine trügerische Wärme versprach. Ein Versprechen, das sofort gebrochen wurde, denn das ganze Land wirkte kalt und einsam. In meinem Inneren sieht es nicht anders aus, sinnierte Linda, als sie aus dem Busfenster blickte. Bei dem Gedanken an die Zeit, die vor ihr lag, fröstelte sie. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so einsam gefühlt.
    Bald würde der Bus Surfpoint Bay erreichen, wo sie ihren zukünftigen Arbeitgeber kennen lernen sollte. Selbst wenn sie pünktlich gewesen wäre, wäre sie deswegen nervös gewesen, aber nun kam sie auch noch zwei Stunden zu spät. Da ihr Zug durch den Nebel aufgehalten worden war, hatte sie den Bus verpasst.
    Hoffentlich war er deswegen nicht verärgert. Es war wichtig, dass sie einen guten Start hatte. Ein guter Start war alles. Was, wenn sie versagte? Bei diesem Gedanken schloss sie die Augen. Die Worte ihres Vaters gellten ihr in den Ohren. »Eine Landwirtschaftschule! Schade um das Geld! War doch sowieso Verschwendung, sie bis achtzehn zur Schule gehen zu lassen. Schau sie dir doch an! Sieht so eine Bäuerin aus? Dass ich nicht lache!«
    Aber dieses eine Mal hatte sich ihre Mutter durchgesetzt, und Linda erhielt die Chance, ihren Traum zu verwirklichen. Dass es eine harte Wirklichkeit sein würde, war ihr klar, das hatte sie bereits während ihrer kurzen Aufenthalte auf dem Hof in Crowborough gelernt, auf dem ihr Onkel Verwalter war.
    Bevor sie die zweijährige Ausbildung an einer Landwirtschaftsschule begann, musste sie ein praktisches Jahr auf einem Bauernhof ableisten. In Crowborough war das nicht möglich, weil dort ausschließlich Galloway-Rinder gezüchtet wurden, aber der Besitzer hatte ihr einen Platz auf einer Farm in Northumberland besorgt. Und so hatte sie früh an diesem Morgen mit dem Segen ihrer Mutter und den düsteren Prophezeiungen ihres Vaters im Ohr London verlassen. Nun war sie fast am Ziel ihrer Reise angelangt.
    Die Bühne … Fotomodell … Verkäuferin, alles hätte ich verstanden, hörte sie ihren Vater schwadronieren. Sei doch still, hätte sie um ein Haar gerufen. Unruhig rutschte sie auf ihrem Sitz herum. Wenn sie doch nur das Vorstellungsgespräch hinter sich hätte! Die erste Begegnung mit ihrem Arbeitgeber war ihre größte Sorge. Vielleicht, weil sie wusste, dass Mr Batley einen männlichen Praktikanten bevorzugt hätte. Der Brief, den er ihr geschrieben hatte, klang steif, aber es war ein Geschäftsbrief, der ließ keine großen Schlüsse auf seine Persönlichkeit zu. Nun, bald würde sie mehr wissen. Der Bus war angekommen. Sie zitterte ein wenig, rief sich aber sogleich zur Ordnung. Fressen würde er sie schon nicht.
    Jetzt im November wurde es früh dunkel, und im schwachen Licht des Nachmittags hatte sie die beiden hohen Häuser aus grauem Stein, die streng auf die etwa zwanzig Ferienhäuschen um sie herum herabblickten, für einen ganzen Weiler gehalten. Erst als sie die Ebene am Fuß des Hügels erreichten, bemerkte sie ihren Irrtum. Das größere der beiden Gebäude war ein Gasthof mit dem Namen »The Wild Duck«, vor dem der Bus jetzt hielt. Davor wartete eine kleine, auffällig dicke Frau mit weißer Schürze, die ihre Ärmel bis zu den Ellbogen hochgeschoben hatte. Neben ihr stand ein kleines Mädchen von etwa sieben Jahren. Ein Mann war nirgends zu entdecken.
    »Zumindest hat das Wetter gehalten«, sagte die Frau zu dem Fahrer, der ausgestiegen war und die Arme über dem Kopf ausstreckte.
    »Hier ist es ja ganz angenehm, Mrs Weir«, gab er zurück, »aber über Newcastle hängt eine richtige Suppe.«
    »Nein!« Sie zog erstaunt die Brauen hoch.
    »Doch, das stimmt, Mrs Weir«, unterstützte der Schaffner seinen Kollegen.
    Während dieses Wortwechsels hatte Linda abseits gestanden und sich umgesehen, aber sie hatte kaum Zeit gehabt, die riesige Sandfläche und die schaumgekrönten Wellen wahrzunehmen, als die Frau sich an sie wandte. »Und Sie wollen bestimmt zu Batley, meine Liebe.«
    »Ja, das stimmt.« Linda sah die Frau erwartungsvoll an.
    »Na ja, der war beim letzten Bus hier, aber Sie waren nicht dabei.«
    »Mein Zug hatte Verspätung, und ich habe den Anschluss verpasst. Ist es weit bis zur Farm?«
    »Kommt drauf an, was Sie unter weit verstehen.
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