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Hikikomori

Hikikomori

Titel: Hikikomori
Autoren: Kevin Kuhn
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feiert.«
    »Aber doch nicht auf meiner Mülltonne!«
    Kim zeigt hinter der Theke auf die Tür zur Backstube: »Geht es da durch?«
    »Aber ihr könnt mich doch hier nicht alleine sitzen lassen!«
    »Frau Tretter, wir sind gleich wieder zurück.«
    »Aber wenn sie die Scheibe einschlagen?«
    »Die werden die Scheibe schon nicht einschlagen. Verschanzen sie sich zur Sicherheit in der Backstube, machen sie das Licht aus, stellen sie irgendwas vor die Tür – wir sind gleich zurück!«
    Gemeinsam gehen sie in die Backstube, dort surren die Maschinen wie eh und je. Frau Tretter zieht die schwere Tür hinter sich zu, Jan hilft ihr dabei, einen Teigmixer davor zu platzieren. Sie sucht an ihrem Schlüsselbund einen weiteren Schlüssel, öffnet die Tür zum Treppenhaus.
    Das Treppenhaus ist menschenleer und es dringen kaum Geräusche vom Tumult der Straße nach innen. Lediglich von oben wummert sanft der Bass. Jan hastet die Stufen hinauf, keucht: »Fuck!«
    Vor der Mi-casa-es-tu-casa -Fußmatte bleiben sie stehen. Die Tür der Tegetmeyers ist zugezogen. Ein Stimmengewirr, das von vereinzelten helleren Lachern oder Schreien durchlöchert wird, beginnt unmittelbar hinter der Schwelle. Die beiden holen tief Luft, schauen sich an, dann klopft Jan zaghaft an die Tür. Sofort öffnet sich diese, als hätte sich über lange Zeit ein Druck angesammelt, der sich nun entlädt. Mit dem einsetzenden Windzug fällt den beiden ein junges Mädchen entgegen. Sie hat Glitzer überall auf sich verstreut. Es ist Lilith. Sie riecht süßlich nach Wodka Redbull. Nachdem sie den beiden einen Kuss auf die Wange gedrückt hat, lässt sie sie passieren. Der Rauch sammelt sich unter der Decke, der Flur ist vollkommen überfüllt, die LED -Spots sind aufs Minimum heruntergedreht. Die Mädchen sind in der Überzahl und sehr knapp bekleidet. Viele der Jungs tragen Sonnenbrillen und Badehosen. Körper an Körper quetschen sie sich durch den Gang. Da ist die Anrichte, die Tür zum Elterntrakt ist verschlossen. Die Küche ist zur Bar umgebaut, ein Herr in Anzug und mit vor Gel glänzenden Haaren schüttelt einen Cocktail und schaufelt Eis aus einer Truhe mit hinein. Mädchen mit kurzen Röcken sitzen auf Granitflächen und ziehen an ihren Strohhalmen. Einem Jungen wird der Cocktail ausgehändigt. Es ist Wurst. Ihm fehlt tatsächlich ein ganzer Finger. Jan zieht Kim von der Küche weg, bevor sich Wurst zu ihnen umdrehen kann.
    Im Wohnzimmer wird getanzt. Das DJ -Pult, bestehend allein aus einem Tablet-Computer, auf dem der DJ herumwischt, ist vor den Fenstern aufgebaut. Jemand schichtet Holz pyramidenförmig, legt eine Lunte, versetzt den Kamin ins Lodern. Unter den Tanzenden befindet sich Anna-Marie, die Augen geschlossen, eine ganze Schar Jungs um sich versammelnd. Ein Mädchen steht am Fenster, hat ihr T-Shirt bis unters Kinn hochgezogen und wackelt mit den Brüsten. Zwischen den Häusern überschlägt sich ein kriegsähnliches Schauspiel, neben beinahe sekündlich näher am Fenster explodierenden Krachern brausen Raketen durch die Luft und zerbersten weit über den Dächern. Wie Leuchtsignale sinkender Schiffe. Eine Sirene wird zum verzerrten Soundtrack, schwillt in der Ferne an, klingt schief und übermäßig schrill. Unter dem Fenster kippt die Tonlage in ein bedrohliches Brummen. Kim kommt es vor, als höre sie das metallene Klackern von Hufeisen auf Pflastersteinen.
    Jan packt Kim grob am Arm, zieht sie von den Tanzenden weg, wieder in den Gang hinaus. Die Tür, die vom Gang aus in Tills Zimmer führt, ist von einem knutschenden Pärchen blockiert. Sie öffnen die Tür zu Anna-Maries Zimmer.
    Der Fernseher ist ausgeschaltet, quer über den Bildschirm verläuft ein Riss, als hätte jemand hineingetreten. Eine ungewohnte Stille hat sich in Anna-Maries Zimmer breitgemacht. Das Deckenlicht flackert nervös. Es muss einen Wackelkontakt haben oder ist absichtlich so eingestellt und lässt die Gruppe von Menschen vor Tills Zimmertür, die ihr Ohr gegen das Türblatt drücken, grell aufblitzen, ihre Umrisse dann wieder in die Dunkelheit zurücktreten. In gezackten Bewegungen trommeln sie nun auf die Tür ein, lachen dabei und machen Geräusche, als wollten sie ein ängstliches Tier aufscheuchen, das sich in seiner Höhle vor ihnen versteckt. Ein Junge tritt gegen die Tür, er trägt rote Schuhe und ist schwarz gekleidet. »Komm raus, du Freak!«, ruft der Junge. Die anderen lachen.
    »Psst«, macht ein Mädchen, das sich hinter dem Jungen versteckt. »Ich
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