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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Skar blinzelte müde und fuhr sich mit einer nervösen Geste durch das schweißverklebte Haar. Der Wind trug den Geruch von Staub und Wärme mit sich, und über den Dünen im Westen tanzte der dünne Schlauch einer Windhose über der Wüste, ein schmaler, schattenhafter Strich, der sich in beständiger ungewisser Bewegung befand und sich irgendwo auf halbem Wege zwischen Himmel und Erde verlor. Er schloß die Augen, fuhr sich mit der Zunge über die rissigen, aufgesprungenen Lippen und atmete tief durch. Auf seinen Netzhäuten flimmerten zwei grellrote, schmerzhafte Kreise, hinter denen er immer noch die endlosen braunen Sanddünen zu erkennen glaubte, die sich mit monotoner Gleichförmigkeit bis zum Horizont und darüber hinaus erstreckten. Vielleicht bis ans Ende der Welt.
    Es war warm; eine trockene, unangenehme Wärme, die bereits in ganz kurzer Zeit in unerträgliche Hitze übergehen würde. Allein der Gedanke daran ließ ihn innerlich aufstöhnen. Die Sonne war erst vor wenigen Minuten ganz über den Horizont gekrochen, aber ihre Strahlen sengten bereits jetzt unbarmherzig auf das schutzlose Land herunter. Der Wind, der böig und trocken von Westen her über die Wüste fuhr und raschelnd mit Staub und Sandkörnern spielte, brachte keine Linderung, selbst jetzt schon nicht mehr, sondern schien die mörderische Kraft der Sonne eher noch zu verstärken und auch noch das letzte bißchen Flüssigkeit aus Skars hager gewordenem Körper herauszusaugen.
    Er seufzte, öffnete die Augen und drehte sich einmal um seine Achse. Aber das Bild war überall gleich, ganz egal, in welche Richtung er blickte. Er wußte nicht mehr, wo Norden war, oder Süden oder Westen. Die Himmelsrichtungen verloren ihre Bedeutung, wenn der Tod überall lauerte, ganz egal, wohin sie sich wandten. Die Wüste begann irgendwo jenseits des Horizonts — jedes Horizonts in jeder beliebigen Richtung —, erstreckte sich eintönig von einem Ende der Welt zum anderen und verschmolz irgendwo in unbestimmbarer Entfernung mit dem Himmel. Wenn er lange genug hinsah, begann das Bild vor seinen Augen zu verschwimmen. Der Blick fand in der eintönigen Landschaft keinen Halt, glitt immer wieder von den runden Buckeln der Sanddünen ab und stürzte in die dunklen Hügeltäler hinab. Das monotone Auf und Nieder der Dünen schien sich zu einem geheimnisvollen Muster zu ordnen: der Körper eines gigantischen, vieltausendfach gegliederten Dinges, auf dessen Rücken sie wie winzige Insekten herumkrabbelten. Beinahe, als würde die Wüste im gleichen Maße selbst zum Leben erwachen, in dem sie das Leben aus ihnen heraussaugte.
    Skar schüttelte unwillig den Kopf und begann die Düne hinunterzulaufen. Er ging schräg und langsam, setzte immer bedachtsam den ganzen Fuß auf und verlagerte sein Körpergewicht, ehe er das andere Bein nachzog. Eine Technik, die er bereits am ersten Tag ihrer Wanderung durch diese verdammte Wüste entwickelt hatte. Es gab kaum etwas Unangenehmeres als einen Sturz in diesen staubfeinen, trockenen Sand. Noch nach Tagen hatte man das staubige Zeug in Mund und Nase.
    Del sah müde auf, als Skar neben ihm anlangte. »Nun?«
    Skar hakte die Daumen hinter den Gürtel und wippte sanft auf den Fußballen. Die Geste spielte Del eine Gelassenheit vor, die er schon lange nicht mehr verspürte. »Nichts.«
    Das Flackern in Dels Augen verstärkte sich unmerklich. Natürlich hatte er gewußt, wie Skars Antwort ausfallen würde. Aber genau wie Skar selbst klammerte er sich an die immer kleiner werdende Hoffnung, daß die Wüste vielleicht doch hinter dem nächsten Hügel endete, daß das monotone, gelbbraune Einerlei irgendwo aufhörte, ganz egal wo und ganz egal, was dahinter wartete.
    »Bist du sicher, daß wir die Richtung nicht verfehlt haben?« fragte er nach einer Weile.
    Skar zuckte nur stumm die Achseln und ging zu den Pferden hinüber. Die Tiere sahen ihm aus trüben, entzündeten Augen entgegen und schnaubten matt, als er näher kam. Es waren kleine, struppige Steppenponys, die mit ihren langen Mähnen und dem wolligen, fettgetränkten Fell viel besser für ein Überleben in den Eiswüsten des Nordens geeignet waren als für einen Marsch durch die Sandwüste. Sie mußten unter der mörderischen Hitze noch mehr leiden als ihre Reiter. Aber die beiden Satai konnten ihren Schmerz und ihre Verzweiflung wenigstens noch hinausschreien.
    Skar tätschelte müde die Nüstern seines Tieres und flüsterte ihm leise, beruhigende Worte zu. Das Pferd
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