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Hikikomori

Hikikomori

Titel: Hikikomori
Autoren: Kevin Kuhn
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Synthesizer und Effektgerät, dort die Tischtennisplatte, die Boots, das Snowboard, dahinter die Staffelei, zu Füßen der hölzerne, dreifächrige Buntstiftekoffer, da die Miniaturrampen des Fingerboard-Parks, eine Miniatur-Halfpipe, eine Handvoll Miniaturbänke im fingerhuthohen Grün verstreut: Miniaturbäume, sogar ein Miniatur-Hot-Dog-Stand.
    »Was ist das?« Die Hände in die Hüfte gestemmt, blickt Karola auf den mahagonifarbenen Beistelltisch, die zwei ineinander verkanteten Stühle, deutet mit einem Nicken auf die massiven Streben, den Kopf- und Fußteil, den Lattenrost seines Betts.
    »Das brauche ich nicht mehr«, sagt Till trocken.
    Sie packt die Stühle und trägt sie an ihm vorbei in den Kellerflur. »Ich weiß, Till«, sagt sie und kippt den Lattenrost in die Vertikale, lehnt ihn an die Betonwand. »Das ist dein Keller, da kannst du reinstellen, was du willst. Das ist mir egal, weißt du. Aber bitte nicht das Bett!«
    Till wendet den Blick ab, als würden ihre Worte nicht ihm gelten. Eine Heizungstherme beginnt zu brummen. Es kommt ihm vor wie das Brummen von Oskars Rasierapparat, wenn er früher auf der Waschmaschine saß und seinem Vater zusah, zwischendurch die Augen schloss und lauschte, wie die Klingen arbeiteten, wie Oskar den Tag begann.
    Die Heizungstherme schaltet einen Ton höher. »Jeder normale Mensch benötigt ein Bett«, sagt Karola.
    Er reißt ihr den Lattenrost weg, sagt: »Möbel sind überbewertet«, und kippt ihn zurück an die Werkbank. In fein beschrifteten Fächern klimpern Nägel und Vierkant-, Sechskant-, Flügel-, Rädel- und Kreuzlochmuttern.
    »Schlaf auf dem Boden, dann schauen wir weiter«, sagt sie.
    »Ich schlaf schon auf dem Boden.« Er packt die Couch am einen Ende und zieht sie endgültig durch die schmale Tür zu den anderen Sachen in die Kellerparzelle. Mit einem Ruck hievt er die Couchfüße auf den Beistelltisch. Als er hochschaut, ist Karola bereits verschwunden. Er greift in die Hosentasche und schiebt sich einen Kaugummi in den Mund. Er kaut schnell und kräftig. Mit einem Schlag zertrümmert er den Hot-Dog-Stand.
    Die Wände von Tills Zimmer sind bis auf den Flachbildschirm und das Bücherregal auf der einen und eine gerahmte Kohlezeichnung auf der anderen Seite kahl. Die Matratze lehnt an der Heizung, draußen dichte Schneeflocken. Till läuft im Kreis, seine rechte Hand umklammert einen dicken Wachsmalstift. Wo das Bett stand, wirkt das Fischgrätenparkett beinahe wie frisch verlegt. Dort, wo Couch und Beistelltisch vor kurzem erst platziert worden waren, ist es schon deutlich dunkler. Till malt mit dem Wachsmalstift eine breite Umrisslinie um das helle Rechteck und schreibt in großen Buchstaben Bett hinein . Rechts und links stehen noch die Nachtschränke. Wie Türme in einer verlassenen Landschaft. Die Umrisslinie, wo einst die Couch stand, zeichnet er geschwungen. Zu Couch schreibt er in Klammern Leder, rissig . Die Leerstelle des Beistelltischs füllt er lediglich mit einem großen UNIKAT aus. Er stößt die Matratze um und schleift sie in die Mitte des Raumes.
    Till lässt die Arme ausgestreckt über die Ränder der Matratze hängen, während er mit den Augen langsam den Windungen des Stucks an der Decke folgt, als wären es gewundene Pfade, in denen er sich verirrt hätte. Von der nahen Straße dringen kaum Fahrgeräusche. Er versucht, an nichts zu denken, trommelt dabei mit der Spitze des Wachsmalstifts, den er immer noch fest umklammert hält, aufs Parkett. Ein Motor heult vital auf und reißt Till aus der kurzen Phase des Nichtdenkens. Es ist der Brunftschrei, der die Weibchen aus der Einkaufsstraße locken soll, die gleich hinter dem Popperbrunnen beginnt. Es könnte auch Oskar sein, der nach Hause kommt. Till streift sich die Socken von den Füßen und beginnt die Lorbeerblätter im Stuck zu zählen. Die Eingangstür fällt ins Schloss. Lederschuhe werden gegen Filzpantoffeln getauscht, dann dumpfe Schritte und undeutliche Worte im Gang. Vielleicht ein Kuss. Es sind wie immer 22 Lorbeerblätter je Ecke. Er stößt sich mit den Ellenbogen von der Matratze ab, setzt sich wie der Junge des Kohleporträts in den Schneidersitz und schaut ihm in die Augen, während er den Kopf kreisen lässt. Der Junge blickt eindringlich zu ihm herunter, als wolle er Till fragen, was ihn überhaupt dazu berechtige, hier zu sein: Spitz läuft seine Nase zu, die aufgesprungenen Lippen sind wie zu einem Wort geöffnet. Till versucht, dieselbe Pose einzunehmen, wie vor
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