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Heyne Galaxy 10

Heyne Galaxy 10

Titel: Heyne Galaxy 10
Autoren: Walter (Hrsg.) Ernsting
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andere Formen des Totalitarismus.
    Barrett hielt inne, um zu Atem zu kommen. Die Luft hatte nichts Fremdes mehr für ihn.
    Erneut ließ der Regen nach, und plötzlich brach ein Sonnenstrahl durch das allgegenwärtige Grau und ließ den nackten Fels in tausend Farben erglitzern. Barrett schloß die Augen und stützte sich schwer auf seine Krücke, und wie durch einen Nebel sah er vielfüßige Wesen, die aus dem Meer krochen, riesige Moosteppiche, die sich langsam an Land ausbreiteten, blütenlose Pflanzen, die ihre schuppenhaften Äste ausstreckten, dunkelfarbene Amphibienwesen, deren Haut vor Feuchtigkeit schimmerte, und er ahnte die tropische Hitze eines kommenden Zeitalters, die sich wie ein Handschuh über die Welt herabsenken würde.
    All das lag in der Zukunft. Dinosaurier. Säugetiere. Pithecanthropus in den Wäldern von Java. Sargon und Haannibal und Attila und Orville Wright und Thomas Edison und Edmond Hawksbill. Und schließlich eine Regierung, die die Gedanken einiger Männer so unerträglich fand, daß ein lebloser Felskontinent der Urzeit der einzig sichere Ort für sie zu sein schien. Diese Regierung war viel zu zivilisiert, um diese Männer wegen ihrer subversiven Tätigkeit zum Tode zu verurteilen, und auch zu feige, um sie wie bisher weiterleben zu lassen. Vielmehr schloß man eine Art Kompromiß, indem man die Unbequemen für immer in die Vergangenheit verbannte. Eine aus zwei Milliarden Jahren bestehende Zeitbarriere war ein ausreichender Schutz gegen jede Art von nihilistischen Gedanken.
    Mit verzerrtem Gesicht legte Barrett den Rest des Weges zu seiner Hütte zurück. Mit den Leiden des Exils hatte er sich schon lange abgefunden, aber die Schmerzen in seinem verletzten Fuß zu akzeptieren, das stand auf einem anderen Blatt. Die sinnlose Sehnsucht nach einem freien Leben in seinem eigenen Jahrhundert hatte er längst überwunden; aber er wünschte sich mit jeder Faser seines Herzens, daß man ihm eines Tages die Mittel schicken würde, um seinen Fuß wieder herzurichten.
    Er betrat die Hütte, warf die Krücke zur Seite und ließ sich auf sein Bett sinken. Bettstellen hatte es bei seiner Ankunft im Lager, das damals gerade vier Jahre bestanden hatte, nicht gegeben. Damals zählte die Anlage zwölf Gebäude, die ihren Bewohnern keinerlei Komfort bieten konnten. Ihm war das Lager unerträglich vorgekommen, aber inzwischen hatten sich die Verhältnisse durch die ständigen Lieferungen von Oben gebessert. Von den etwa fünfzig Gefangenen, die vor Barrett hier gelebt hatten, war niemand mehr am Leben, und seit etwa zehn Jahren war er der Lagerälteste.
    Der Hammer war so geschaltet, daß der hiesige Zeitablauf dem Zeitablauf Oben entsprach. Hahn, der über zwanzig Jahre nach Barrett im Hawksbill-Lager angekommen war, hatte also Oben in einem Jahr gelebt, das über zwanzig Jahre nach Barretts Verurteilung lag.
    Barrett hatte noch nicht den Mut gefunden, Hahn nach Neuigkeiten aus dem Jahre 2029 zu befragen. Dafür war noch Zeit, wenn Hahn nach dem Essen erzählen mußte. Trost brachte sein Bericht bestimmt nicht.
    Barrett nahm ein Buch zur Hand, doch die weiten Strecken, die er heute im Lager zurückgelegt hatte, hatten ihm mehr zugesetzt, als er wahrhaben wollte. Einen Augenblick lang betrachtete er die Buchseite, dann legte er sich hin, schloß die Augen und schlief ein.
     
     
    4
     
    An jedem Abend kamen die Männer des Hawksbill-Lagers zum Essen und zu anschließender Freizeitgestaltung im Hauptgebäude zusammen. Das Erscheinen wurde nicht zur Pflicht gemacht, und einige Männer nahmen ihre Mahlzeiten regelmäßig allein zu sich. Aber heute abend hatte sich fast jeder, der im Vollbesitz seiner Körperkräfte war, eingefunden, denn es bot sich einmal mehr die seltene Gelegenheit, einen Neuankömmling nach der für immer verlorenen Welt zu befragen.
    Hahn schien sich seiner Bedeutung für die Allgemeinheit durchaus bewußt zu sein, was ihm offensichtlich nicht behagte. Im Grunde war er menschenscheu, und die Aufmerksamkeit, die man ihm widmete, machte Ihn nervös. Er bildete den Mittelpunkt eines zwanglosen Kreises und wurde von Männern, die zwanzig oder gar dreißig Jahre älter waren als er, mit Fragen förmlich bestürmt. Es wurde deutlich, daß er keinen Spaß an der Sache hatte. Seine Antworten kamen zögernd.
    Barrett saß abseits und beteiligte sich kaum an der allgemeinen Diskussion. Sein Interesse an den ideologischen Fortschritten der Welt Oben hatte schon vor langer Zeit nachgelassen. Es
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