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Heyne Galaxy 10

Heyne Galaxy 10

Titel: Heyne Galaxy 10
Autoren: Walter (Hrsg.) Ernsting
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psionischen Fluchtweg zu finden.«
    »Dann vergeßt mich nicht, wenn ihr abhaut!« sagte Barrett, und die beiden Männer lachten.
    Barrett klopfte an Latimers Tür, doch niemand antwortete. Schließlich öffnete er einfach die Tür und trat ein. Hier im Hawksbill-Lager gab es keine Schlösser.
    Auf dem kahlen Fußboden saß Latimer mit untergeschlagenen Beinen. Er meditierte. Latimer war ein hagerer Mann mit sanftem Gesicht, einem Gesicht, das eben zu altern begann. Im Augenblick schien eine Million Jahre zwischen ihm und der Wirklichkeit zu liegen; er reagierte nicht auf die Ankunft der beiden Männer. Hahn zuckte mit den Achseln, und Barrett hob den Finger an die Lippen. Schweigend warteten sie, bis Latimer zu erkennen gab, daß er langsam aus seiner Trance erwachte.
    Er erhob sich schwungvoll, ohne die Hände zu benutzen, und wandte sich mit leiser, höflicher Stimme an Hahn: »Du bist gerade angekommen, nicht wahr?«
    »Vor kaum einer Stunde. Mein Name ist Lew Hahn.«
    »Freut mich. Donald Latimer. Es tut mir leid, daß ich deine Bekanntschaft unter diesen Umständen machen muß. Aber vielleicht werden wir unsere ungesetzliche Gefangenschaft nicht mehr länger erdulden müssen.«
    Barrett schaltete sich ein: »Don, Lew wird hier bei dir wohnen. Ich glaube, ihr werdet gut miteinander auskommen. Lew war als Volkswirtschaftler tätig, ehe sie ihm 2029 den Hammer reichten.«
    »Wo hast du gewohnt?« fragte Latimer, und in seine Augen trat ein fiebriger Schimmer.
    »In San Francisco.«
    Der Glanz verschwand. Latimer fragte: »Bist du jemals in Toronto gewesen? Ich stamme von dort. Ich hatte eine Tochter, sie müßte jetzt dreiundzwanzig sein. Nella Latimer. Du hast sie nicht zufällig gekannt, wie?«
    »Nein, tut mir leid.«
    »Na ja, war ja auch kaum anzunehmen. Aber ich würde zu gern wissen, was für eine Art Frau aus ihr geworden ist. Sie war noch ein Kind, als ich sie zuletzt sah. Inzwischen ist sie vielleicht verheiratet. Oder vielleicht hat man sie in die andere Station geschickt. Nella Latimer. Bist du sicher, daß du sie nicht kennst?«
    »Völlig sicher.«
    Barrett verabschiedete sich mit dem Auftrag an Latimer, den Neuen später mit ins Hauptgebäude zu bringen, damit sich Hahn nach dem Essen seinen neuen Kameraden vorstellen konnte. Dann ließ er die beiden allein.
    Es hatte Wieder zu regnen begonnen, und er tastete sich langsam und unter Schmerzen hügelaufwärts. Es hatte ihn traurig gestimmt, den Glanz in Latimers Augen wieder verlöschen zu sehen, als Hahn die Bekanntschaft mit seiner Tochter verneinte. In der Regel vermieden es die Männer im Lager, von ihren Familien zu sprechen; allein so war es ihnen möglich, der quälenden Einnerungen Herr zu werden. Aber die Ankunft eines Neuen konnte solche Vorsätze ins Wanken bringen, zumal es über Verwandte von Oben grundsätzlich keine Nachrichten gab. Es bestand keine Möglichkeit, sich mit der Zukunft von hier aus in Verbindung zu setzen. Es war also unmöglich, das Foto einer geliebten Person zu erbitten, unmöglich, bestimmte Heilmittel anzufordern, unmöglich, ein besonderes Buch oder Tonband herbeizuschaffen. Auf ihre etwas gedankenlose und unpersönliche Art stellten die Leute Oben regelmäßige Lieferungen zusammen, die sie für nützlich hielten – Sendungen von Lesestoff, Arzneimitteln oder technischen Geräten. Von Zeit zu Zeit überraschten sie durch ihre Großzügigkeit, wie damals, als sie eine Kiste Burgunder schickten und eine Ersatzladung für die Batterie. Derartige Geschenke deuteten auf eine Anspannung der weltpolitischen Lage hin, die in der Regel den kurzlebigen Wunsch hervorrief, die Jungen im Hawksbill- Lager doch nicht zu kurz kommen zu lassen. Aber im übrigen hielt man sich an das Prinzip, keine Nachrichten über Verwandte der Lagerinsassen oder über politische Ereignisse durchzugeben. Über einen guten Wein ließ sich reden, aber das 3-D-Bild einer Tochter durchzugeben, die ihr Vater niemals wiedersehen würde, war unmöglich.
    Die Menschen Oben wußten eigentlich nichts über das Leben hier im Lager. Es konnte ebensogut niemand mehr am Leben sein. Eine Seuche hätte die Insassen schon vor zehn Jahren dahinraffen können, ohne daß man in der Zukunft davon erfuhr. Aber man wußte eben nichts Genaues; und so kamen die Sendungen mit beruhigender Regelmäßigkeit. Die Regierung funktionierte bestens, welche Partei auch immer an der Macht sein mochte. Die Regierung war nicht grausam. Aber außer blutiger Tyrannei gab es noch
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