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Hexenstein

Hexenstein

Titel: Hexenstein
Autoren: Jakob Maria Soedher
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wusste, wie der letzte Satz, den sie nicht beendete, gemeint war. Nora Seipp wusste durchaus, wer sie war und wie sie wirkte. Da war wenig Hexerei im Spiel.
    Schielin wollte nun auf den Montag zu sprechen kommen. »Wie sind Sie an diesem Montag ins Haus gekommen?«
    »Durch die Türe«, lautete die sarkastische Antwort.
    Wenzel biss sich auf die Unterlippe, um still zu sein. Lydia Naber stand auf und holte Pappbecher und die Flasche Wasser an den Tisch. Sie sah, wie gebannt Jasmin Gangbacher dem Gespräch folgte.
    »Wann war das?«
    »Ich war schon sehr früh im Haus. Es waren noch einige Kleinigkeiten am Buch zu machen, das Brüggi abholen wollte. Es hatten sich Schwierigkeiten ergeben und so waren noch einige Nacharbeiten erforderlich … ich wollte schon gar nicht mehr hingehen, aber das Buch … ich wollte es einfach noch einmal in den Händen haben.« Ihre bisher flüssige Erzählung stockte.
    »Wer befand sich im Haus?«, fragte Lydia Naber.
    »Gundolf Kohn und ich.«
    »Und …«, Schielin ließ die Frage offen, weil er nicht wusste, wie er es ausdrücken sollte. Ihre Mutter oder Frau Kohn, oder wie auch immer.
    »Sie war in der Stadt unterwegs, ich weiß nicht mehr warum.«
    »Kohn und Sie waren also alleine im Haus.«
    »Ja.«
    »Erzählen Sie einfach alles«, war mit einem Mal die Stimme von Jasmin Gangbacher zu hören, die bislang geschwiegen hatte. Was auch immer Nora Seipp dazu veranlasste, sie lächelte in Richtung Wand und nahm einen Schluck aus dem Plastikbecher.
    »Es gab in den letzten Monaten immer öfter Schwierigkeiten mit Kohn … er hatte völlig irre Vorstellungen«
    »Und diese Vorstellungen betrafen Sie«, ergänzte Lydia Naber.
    »Ja.«
    »Er stellte Ihnen nach«, sagte Schielin.
    »Ja. Auf eine zum Teil groteske Weise. Er lebte wie in einer Traumwelt, in der alles so geordnet war, wie er sich das vorstellte. Es kam zu teilweise verrückten Situationen mit ihm. An jenem Montag war es besonders schlimm. Verstehen Sie … dieser Gundolf Kohn war ein Mensch, den ich von der ersten Sekunde an zutiefst verabscheute … ich ertrug seine Gegenwart nur, weil sie mich mit meiner Mutter zusammenbrachte, verstehen Sie … meiner eigenen, echten Mutter. Das ist etwas Großartiges, wenn man als Waise im Heim groß geworden ist.«
    Lydia Naber dachte an das junge Mädchen, das sein Kind allein gelassen hatte und an die erwachsene Frau, die es nie geschafft hatte jemals einen Kontakt herzustellen, und die sich jetzt an all dies nicht mehr erinnern konnte.
    »Ihre Mutter wusste also nichts über Ihre Beziehung oder Verbindung …«, wollte Schielin wissen.
    »Bis zu jenem Montag nicht, nein.«
    Lydia Naber sah mit weit aufgerissenen Augen zu Schielin. Auch durch Wenzels Körper war ein Ruck gegangen. Das war zuletzt in Memmingen der Fall gewesen.
    »Oben in der Werkstatt war es zu einer hässlichen Szene gekommen …«, fuhr Nora Seipp fort, »ich musste fast handgreiflich werden, aber er war wie verrückt an jenem Tag. Er war dann unten in der großen Stube und ich saß oben und wusste nicht, was ich tun sollte. Er hatte laute Musik aufgedreht und tanzte herum wie Rumpelstilzchen. Ich hoffte, dass Brüggi endlich auftauchen würde, aber der kam nicht. Irgendwann bin ich dann nach unten …« Sie rückte mit dem Stuhl näher an den Tisch heran. »Er kam auf mich zugesprungen, hüpfte und feixte, dieser widerliche Gnom. Ich stand auf dem unteren Treppenpodest. Da hat er sich niedergekniet und mir zum wiederholten Male seine Liebe gestanden … es war so ekelerregend … und dann sagte er: »Was hindert uns denn, was hindert uns denn, ich schick das Weib in die Wüste, ich schick es in die Wüste und wir machen uns ein feines Leben … ein feines Leben. Dann ist er aufgestanden und hat versucht mich um die Hüfte zu fassen, ich stand ja erhöht … es war so erniedrigend und ich war außer mir … und dann sagte er noch – was spricht denn dagegen, Liebes.«
    Schielin tat der Oberschenkel weh und er hätte gerne seine Position verändert, doch traute er sich nicht.
    Nora Seipps Stimme wurde zittrig vor Anspannung. Schielin sah, wie sich die Muskeln ihrer Unterarme strafften, als sie mit beiden Händen Fäuste bildete und sich erhob. Wenzel schob sich mitsamt dem Stuhl zurück, um schnell aufspringen zu können, falls was passieren sollte. Nora Seipp stand gebeugt am Tisch, schlug immer heftiger werdend mit ihren Fäusten auf die Tischplatte und sprach voller Anspannung und Aggression: »Weil es meine Mutter
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