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Hexenstein

Hexenstein

Titel: Hexenstein
Autoren: Jakob Maria Soedher
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die Ihre Mutter je gehabt hat, eine Ausbildung machen. Nein. Wir beide wissen genau, dass in einem Grab in Beelen die sterblichen Überreste von Carmen Lasalle ruhen. Und das Ihre Mutter – Helen Sander – unter dem Namen Carmen Lasalle ein neues Leben begonnen hat.«
    Fassungslos hörten die anderen anschließend ihre besorgt klingenden Worte: »Wie geht es ihr?«
    Nur Schielin hatte darauf vertraut, dass es zu keinem Zusammenbruch kommen würde. Es war fast, als wäre nach ihren Worten ein Gemurmel im Raum entstanden, dabei waren es nur die Geräusche wieder regelmäßigen Atmens und das zwanghafte Verändern der Sitzposition. Alle schwitzten. An Nora Seipps Kehle aber glitt ein großer Schweißtropfen hinab, hielt in der Kuhle über dem Brustbein kurz inne und verschwand dann im roten Seidenstoff.
    »Es geht ihr gut«, antwortete Schielin, der dem Weg des Tropfens gefolgt war, und nicht wusste, ob es die Wahrheit war, was er da gesagt hatte, oder eine Lüge.
    »Wo ist sie?«
    Schielin hob die rechte Hand und winkte ab. »Woher wissen Sie, dass Sie die Tochter von Carmen Lasalle … Verzeihung … von Helen Sander sind?«
    Sie schwieg.
    Er sagte: »Bitte.«
    Erstmals strich sie mit ihrer Hand über die schweißbedeckte Stirn und hob ihre Haare an. »Ich gehe davon aus, Sie wissen alle, wer Ihre Eltern sind … Ihr Vater … Ihre Mutter, verbinden ein Gesicht, eine Stimme, eine gewisse Körperhaltung, Eigenheit mit diesen Menschen. Ich hingegen wusste nur, wo das Grab meiner Mutter war und dass mein Vater unbekannt war. Irgendwann wollte ich einfach mehr wissen. Das war kurz vor meiner Heirat. Da war ich mit einem Mal in der Situation in Kontakt mit dem zu kommen, was man als eine richtige Familie bezeichnet, verstehen Sie? Vielleicht habe ich auch nur deswegen geheiratet. Aber egal. Wenn ich schon nur ein Grab hatte und einen unbekannten Vater, so wollte ich wenigstens darüber mehr erfahren. Sie können das vielleicht nicht nachvollziehen, keine Erinnerung an so etwas wie Familie zu haben und in vielen Fällen mögen es sogar schlechte Erinnerungen sein – ich aber hatte nicht einmal schlechte Erinnerungen; nur die Träume und Vorstellungen, die man als Kind hat, im Waisenhaus, und sich vorstellt, wie es sein könnte, in so einer Familie. Eine Mutter oder ein Vater alleine hätte mir ja schon gereicht … meine Großmutter hat mir nie etwas erzählt.« Sie holte tief Luft. »Ich habe also meine ganz besondere Art von Ahnenforschung betrieben und erfahren, dass meine Mutter nur eine wirkliche Freundin hatte – Carmen Lasalle. Das hat mich fast ein wenig getröstet, weil es etwas war, was uns verband. Und dann die Überraschung – diese Carmen war im gleichen Heim gewesen, in dem ich so lange Jahre gewesen war. Ich habe versucht alles über dieses Mädchen zu erfahren und als ich genügend Mut hatte, habe ich auch die Unfallakten eingesehen.« Sie stoppte und sann nach. Schielin dachte an die zwei Handtaschen.
    Sie lachte beim nächsten Satz. »Meine Großmutter, die alte Hexe, hat immer gesagt, ihre Tochter sei nicht tot, sie würde es spüren. Als ich später die Bilder im Unfallbericht durchsah, wurde mir klar, dass sie recht gehabt hatte. Mit der Mutter des einen toten Jungen habe ich gesprochen. Sie erzählte mir, dass er ganz verrückt nach Carmen Lasalle gewesen sei, und dass sie sich so gesorgt habe, er könnte dieses verrückte, freche Ding wirklich heiraten. Diese Vorstellung hat ihr sicher Angst gemacht, der Dame. Nun ist ihr Sohn schon lange unter der Erde. Wäre er mal lieber mit ihr verheiratet gewesen, nicht wahr.« Sie sah auf. Niemand reagierte auf ihre Frage, die nur eine Feststellung war. »Keinen Abend habe er ohne Carmen Lasalle verbracht, sagte sie mir, keinen Abend. Und dann waren da auf den Bildern die zwei Handtaschen … na ja.«
    »Und dann?«, fragte Schielin vorsichtig, als ihm die Pause zu lange wurde.
    »So schwer war es nicht. Ich musste nach einer Carmen Lasalle suchen. Ein paar Anrufe, Google, Telefonbücher, ein paar verlängerte Wochenden mit Reisen – sie lebte ja nicht versteckt. Carmen Lasalle existierte ja. Schließlich habe ich sie hier in Lindau gefunden.«
    »Wie sind Sie an Gundolf Kohn herangekommen?«
    »Ich habe ihn beeindruckt, hatte ein abgeschlossenes Studium … war außerdem nicht blöde und ich bin handwerklich begabt. Und Bücher interessieren mich wirklich. Es war nicht schwer … mit ihm … zunächst …«
    Lydia Naber sah verstohlen nach links. Sie
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