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Hexenstein

Hexenstein

Titel: Hexenstein
Autoren: Jakob Maria Soedher
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wir aus der Welt der Eichhörnchen wieder zurück in die Welt der Fakten. In unserem letzten Gespräch, am letzten Samstag, fragte ich Sie, was Sie an jenem Montag gemacht hätten. Sie erinnern sich, Alibi?«
    Nora Seipp nickte.
    Schielin zog eine Klarsichthülle aus dem Packen Papier unter seinem Notizbuch hervor. Die Kassenbons, die sie ihm gegeben hatte, schimmerten durch den matten Kunststoff.
    »Einkaufen«, sagte sie. Ihr rechter Mundwinkel rutschte bedauernd nach unten.
    »Mhm. Können Sie mir erklären, aus welchem Grund Sie Rasiercreme und Rasierwasser besorgt haben?«, er wies auf den nächsten Beleg, »dann Babyöl und andere Babysachen?«
    Nora Seipp überlegte, was sie tun sollte. Eine solche Entwicklung hatte sie nicht erwartet. »Was spricht dagegen?«, schien ihr fürs Erste unverbindlich genug, und verschaffte etwas Zeit.
    »Einmal spricht die allgemeine Lebenserfahrung dagegen, aber die zählt ja sicher nicht viel in Ihrer anderen Welt. Diese Artikel hier auf den Bons wurden alle auf Kundenkarte gebucht. Sie sind aber nicht Inhaberin einer solchen Kundenkarte. Es liegt uns hingegen eine Aussage des Karteninhabers vor. Womit wir bei der Frage wären: Aus welchem Grund belügen Sie einen Kriminalbeamten, der Ihr Alibi überprüfen will … und das nicht nur, indem Sie in die Falle einer schnell dahingesagten Lüge geraten. Nein, nein, nein! Sie haben in Erwartung der Frage nach Ihrem Alibi fremde Bons aus den Einkaufswagen und Papierkörben, oder wo auch immer, zusammengesammelt. Das ist ein Fakt, der uns wieder zur allgemeinen Lebenserfahrung führt, denn – wer solches tut, hat nicht nur kein Alibi, sondern auch ein brennendes, vitales, vielleicht auch schmerzendes Interesse, sich ein Alibi zu verschaffen. Also bitte, Frau Seipp! Was war an jenem Montag. Wo waren Sie wirklich?«
    Wenzel hatte seine Sitzposition verändert und dabei laut geschnieft. Schielin verstand den Hinweis. Er würde es nicht vergessen.
    Nora Seipp hatte es auch nicht vergessen. »Also in den Krimis ist das immer so, dass einem so ein Sprüchlein vorgelesen wird, dass man verdächtig sei und nichts sagen müsse, und einen Anwalt haben könnte.«
    »Den kann ich Ihnen auch nur dringend empfehlen«, sagte Wenzel.
    Ein zartes Zittern, das über ihren Hals huschte, ließ sichtbar werden, wie angespannt sie die Situation empfand. Schielin wollte, dass sie redete. Sie musste reden. Allein darum ging es ihm. Nun war er gezwungen, einen Teil der Karten auf den Tisch legen. »Wir haben Sie hierher bestellt, weil wir Sie verdächtigen in Zusammenhang mit dem gewaltsamen Tod von Gundolf Kohn zu stehen.« Tunlichst vermied er es, die Worte Mord oder Totschlag in den Mund zu nehmen, was auch der rechtlichen Situation nicht entsprochen hätte.
    »Aber stand denn nicht in der Zeitung, dass man bereits ein Pärchen festgenommen hat, das dieser Tat verdächtigt wird?«
    »Wir sind gehalten alle Spuren zu verfolgen.«
    »Ich bin also eine Spur«, kokettierte sie schmunzelnd.
    Schielin ging nicht darauf ein und sprach eine äußerst förmliche Belehrung, so wie es sich gehörte. Es wirkte. Das Gestelzte daran belustigte den eitlen, den selbstgewissen Teil ihrer Persönlichkeit, forderte ihn heraus, machte ihn größer, ließ ihn Erhebung über andere wittern, die in Formalismen verfangen waren, und drängte die klug abwägende, überlegende Nora Seipp, die es durchaus gab, in den Hintergrund.

    Jasmin Gangbacher saß auf ihrem Stuhl an der Wand und beobachtete voller Faszination und Bewunderung diese Frau, wie sie in ihrer kühlen Schönheit diesen schmucklosen Raum erstrahlen ließ und einen Kampf kämpfte, den sie niemals gewinnen konnte. Alleine, weil ihr die Vorstellung darüber mangelte, mit welch kleinteiliger, exakter, eingespielter Welt sie es zu schaffen hatte. Aber wozu kämpfte sie überhaupt? Es genügten doch ein paar einfache Sätze. Ich möchte mich nicht äußern. Bitte verständigen Sie einen Anwalt. Kann ich dann gehen, falls nicht sofort, nennen Sie mir einen Zeitpunkt!
    Es wäre der Tod aller unbeantworteten Fragen gewesen. Dieser Frau aber musste es um etwas anderes gehen. Gab es etwas, wofür es sich noch lohnte zu kämpfen. Gab es etwas zu schützen, von dem sie meinte, sie wüssten es noch nicht … die Sache mit den Kassenbons hätte ihr doch zeigen müssen, worauf sie sich eingelassen hatte. War sie so von ihrer Zauberwelt verblendet, dass sie Wenzel tatsächlich für ein Eichhörnchen hielt? Wenn ja, dann war er ein
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