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Hexenblut

Hexenblut

Titel: Hexenblut
Autoren: Neil White
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muss sie vor Gericht vertreten. Warum nicht ich?«
    Ich dachte an Mr und Mrs Goode und wie die beiden dagesessen hatten – verwirrt, ratlos, hilfesuchend. »Ich glaube, die zwei erwarten etwas mehr«, meinte ich und ging zur Tür. »Danke für den Tipp, Sam, aber ich sehe da keine Story.«
    Sam entgegnete nichts, und ich war Augenblicke später wieder auf der Straße und machte mich auf den Weg zum Amtsgericht, um mir den ganzen Tag lang Verhandlungen anzuhören, in denen es um irgendwelche kleinen Delikte ging.

5
    A ls Rod Lucas die Tür zu Abigails Cottage öffnete, schlug ihm zuerst ein intensiver, rauchiger Geruch entgegen. Vermutlich Räuchervasen. Seine älteste Tochter hatte eine solche Phase durchgemacht und diese Dinger in ihrem Zimmer aufgestellt, weil sie so angeblich besser einschlafen konnte. Jedenfalls hatte sie das damals behauptet, doch inzwischen wusste er, dass die Dinger dazu gedient hatten, den Zigarettenrauch zu überdecken. Jetzt besuchte sie die Universität, und dass sie zwanzig Zigaretten am Tag rauchte, war nur eine von vielen Sorgen.
    Der schwere Geruch, der ihn zum Husten gereizt hatte, war ihm noch gut in Erinnerung. Er konnte ja noch verstehen, wenn ein Teenager mit etwas Derartigem experimentierte – aber wieso eine Rentnerin in einem entlegenen Cottage?
    Er schaute sich um. Eigentlich hatte er damit gerechnet, eine altmodische Polstergarnitur zu sehen, Stühle mit hohen Rückenlehnen, Porzellanfiguren und Fotos von den Enkeln. Doch von all dem war nichts zu entdecken.
    Die Wände waren schwarz gestrichen, die Vorhänge bestanden aus schwerem, roten Stoff, überall hingen große, kunstvoll verzierte Spiegel. Auf fast jeder freien Fläche standen Kerzen – auf dem Kaminsims, auf den Sideboards und den Fensterbänken. Das Sortiment reichte von Duftkerzen bis hin zu großen schwarzen Altarkerzen.
    Ihm fiel auf, dass ein Teppich zur Seite geschoben worden war, sodass darunter der Steinfußboden zu sehen war, der im Lauf der Jahrzehnte eine glatte, fast polierte Oberfläche bekommen hatte. Mit Erstaunen nahm er zur Kenntnis, warum der Teppich hatte weichen müssen und was an seine Stelle getreten war – ein Ding, das diesen Platz ganz für sich in Beschlag nahm.
    Weiße Linien überzogen den Boden kreuz und quer, zackige, ungleichmäßige Linien, die aus etwas bestanden, was man auf den Boden geschüttet hatte … feine weiße Körner. In der Mitte des Ganzen standen ein Tisch und Stuhl, als würde die alte Dame dort sitzen, wenn sie allein zu Hause war. Lucas ging in die Hocke und nahm mit einer Fingerspitze etwas von dem Pulver auf. Dann leckte er über seinen Finger. Salz.
    Die Linien bildeten eine nicht ganz gleichmäßige Form, so, als wären sie in aller Eile gezogen worden: einen fünfzackiger Stern. An jeder Zacke hatte man Gegenstände platziert, unter anderem ein paar Blumensträuße, eine große rote Kerze, eine Muschel.
    Rod musste an die Sprengladung denken. Warum sollte jemand diese Frau attackieren? War ihr Lebensstil der Grund dafür? Das war die dritte Explosion dieser Art, doch in den anderen Häusern war nichts Ungewöhnliches entdeckt worden. Aber vielleicht hatte man auch bloß nicht genau genug hingesehen.
    Als Nächstes würde er zum Krankenhaus fahren. Vielleicht konnte Abigail ja ein paar Antworten liefern.
    * * *
    Ich rutschte auf der Bank im Amtsgericht in Blackley hin und her und versuchte, eine halbwegs bequeme Sitzposition zu finden. Es war noch vor zehn, und die Verhandlungen hatten noch nicht begonnen. Dennoch konnte ich bereits hören, wie es im Korridor lauter und geschäftiger wurde. Ich sah zur Decke, betrachtete die Stellen, an denen die Farbe abgeblättert war, und fragte mich, wie es nur so weit mit mir hatte kommen können. Ich war als freier Journalist für die großen Zeitungen in London tätig gewesen, ich hatte Aufmacher über große Verbrechen geschrieben. Mein Traum war es gewesen, ein Buch zu schreiben, vielleicht als Ghostwriter für die Memoiren eines Gangsters. Und nun produzierte ich am Fließband kleine Artikel über häusliche Gewalt, Prügeleien unter Alkoholeinfluss, sexuelles Fehlverhalten und so weiter und so fort. Die Zeitung bezahlte mir kein Festgehalt, sondern entlohnte mich pro Text. Wenn also nichts vorfiel oder wenn die Polizei wieder mal eine Initiative startete, um die Leute davon abzuhalten, für alles Mögliche die Gerichte zu bemühen, bekam ich kein Geld. Ich konnte zwar meine Arbeitszeiten selbst bestimmen, und ich
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