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Hexenblut

Hexenblut

Titel: Hexenblut
Autoren: Neil White
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auf dem ich aufgewachsen war, da hinten die Schule, die mir die nötige Ausbildung mit auf den Weg gegeben hatte, damit ich diese Stadt verlassen konnte – was ich schließlich auch tat, wenn auch nur für eine Weile, bis mich der Lockruf der Heimat hierher zurückbrachte.
    Die Aussicht entlockte mir ein Lächeln. Die Baumwollmühlen und Fabriken hatte man längst aufgelassen; die Schornsteine standen zwar noch, aber die meisten Gebäude hatte man zu Büros und Apartments umgebaut. Einige wenige waren sich selbst überlassen worden und verfielen allmählich; das Gras drängte sich durch die Fußböden, und die Fensterrahmen kippten im Lauf der Zeit nach innen. Aber die Stadt glänzte im oktoberlichen Morgentau und wirkte vor der im Osten stehenden Sonne wie ein Scherenschnitt. Der Anblick ließ mich vergessen, wie bitterkalt der Wind war.
    Ich wandte mich ab und sah mein Haus an, das auf halber Höhe am Hügel stand. Trockenmauern säumten die Straße, und mit seinen alten Schindeln aus Schiefer und dem gedrungenen Schornstein hob es sich von den dahinter gelegenen Feldern ab. Ich glaubte, durch eines der Fenster Laura zu erkennen, nur als Schatten, der sich im Haus bewegte. Ich winkte ihr zu, aber es kam keine Reaktion.
    Dann bemerkte ich mein Telefon, das mich mit dem Refrain aus Johnny Cashs Ring of Fire auf einen eingehenden Anruf aufmerksam machte. Ich klappte es auf und sah aufs Display. Das war die Nummer von Sam Nixon einem Strafverteidiger hier aus dem Ort. Es kam nicht oft vor, dass er anrief, also musste er etwas Interessantes für mich haben.
    »Hi, Sam«, begrüßte ich ihn, während ich ins Haus trat.
    Laura schaute in dem Moment auf, doch ich drehte mich weg. Zwar war sie mit dem Frühstück für Bobby beschäftigt, aber ich merkte ihr an, dass sie mir mit einem Ohr zuhörte.
    Ich ließ Sam reden, dann erwiderte ich: »Okay, dann sehen wir uns später.« Nachdem ich das Telefon zugeklappt hatte, wandte ich mich zu Laura um und versuchte, eine Unschuldsmiene aufzusetzen.
    »Was wollte Sam Nixon von dir?«
    Ich legte meinen Arm um sie, um einen von Bobbys Spielzeugsoldaten zu stibitzen. »Das wird er mir verraten, wenn wir uns treffen.«
    »Lass dich bloß nicht auf irgendeine Dummheit ein«, mahnte sie und warf mir einen warnenden Blick zu, als ich sie ansah.
    »Wie meinst du das?«
    »Du weißt genau, wie ich das meine«, gab sie in müdem Ton zurück. »Strafverteidiger bedeuten meistens Ärger. Diese Leute sind oft nicht in der Lage, zwischen ihrem Mandanten und sich selbst zu unterscheiden.«
    »Sam ist nicht so«, erwiderte ich. »Und du weißt genau, wie es läuft.«
    Das wusste sie allerdings. Als Detective bei der örtlichen Polizei musste sie allzu oft miterleben, wie geschickte Strafverteidiger die Ergebnisse ihrer harten Arbeit zunichtemachten, wie im Namen der Menschenrechte geschwiegen oder gelogen wurde. Ich war auf eine andere Weise mit dem Verbrechen befasst: Ich saß im Gerichtssaal und machte mir Notizen zu den einzelnen Fällen, um Artikel für die Lokalzeitung darüber zu schreiben. Meist wurden sie in den schmalen Randspalten abgedruckt. Ich hatte auch schon größere Reportagen unterbringen können, ich war sogar freiberuflich in London tätig gewesen, aber das war zu unsicher und manchmal auch ziemlich gefährlich, und ich war derzeit nicht in der richtigen Situation, um Risiken einzugehen.
    Laura seufzte schwer und küsste Bobby auf den Kopf. »Nicht jetzt, Jack«, sagte sie. »Wir können es uns nicht leisten, das hier an die Wand zu fahren. Nicht jetzt, wo wir es schon so weit geschafft haben.«
    Ich ging in die Küche, einen kleinen fensterlosen Raum, der vom Wohnzimmer abgeteilt worden war. Ich wollte nicht streiten, erst recht nicht so früh am Tag.
    Sie folgte mir. »Jack, rede mit mir.«
    Mit dem Wasserkessel in der Hand drehte ich mich zu ihr um. »In letzter Zeit machen wir doch überhaupt nichts anderes mehr«, hielt ich mürrisch dagegen.
    »Ich will bloß nicht, dass du dich auf irgendeine Dummheit einlässt, das ist alles.«
    »Ich weiß, ich hab’s gehört«, konterte ich. »Wir verbringen unser Leben in der Warteschleife, nur damit sich dein beschissener Ex nicht auf die Füße getreten fühlt.« Die Worte kamen mir schroffer als beabsichtigt über die Lippen.
    »Meinst du, mir macht das Spaß?«, herrschte sie mich an. »Meinst du, es gefällt mir, hier zu sitzen und abzuwarten, bis irgendein Wildfremder darüber entscheidet, bei wem mein Sohn leben darf? Meinst
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