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Hexenblut

Hexenblut

Titel: Hexenblut
Autoren: Neil White
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1
    E in Frösteln überkam Abigail Hobbs, als sie die Haustür ihres Cottage öffnete und einen Fuß über die Schwelle setzte. Der Wind wehte kräftig aus westlicher Richtung und gab dem ausklingenden Oktober eine mürrische Note, die wie ein erster Vorgeschmack auf die schlechte Laune des nahenden Winters daherkam. Zu allen Seiten pfiff er um den Pendle Hill. Dieser mit Gras und Heidekraut bewachsene Hügel beherrschte seine gesamte Umgebung, kauerte dunkel und unheilvoll da und hielt die Sonne davon ab, die Fenster des Cottage zu erreichen. Abigail zog den Mantel fester um sich und schlug den Kragen hoch, um ihre Ohren zu schützen. Für Morgen wie diesen wurde sie allmählich zu alt.
    »Tibbs? Tibbs?«
    Sie konnte ihren Kater, einen Britisch Kurzhaar mit großen tapsigen Pfoten, nirgends entdecken. Normalerweise saß er morgens auf der Fensterbank, beobachtete Abigail und wartete darauf, dass sie aufstand. Aber nicht so an diesem Morgen.
    »Tibbs?«
    Sie sah sich um. Noch immer nichts. Ihre Stimme war natürlich nicht mehr so kräftig wie früher, und sie wurde vom Wind sofort weggetragen; dennoch wusste Abigail, dass irgendetwas nicht stimmte.
    Sie trat auf den Pfad aus mittlerweile zum Teil schief eingesunkenen Steinplatten, der durch den Garten führte, und lauschte. Im ersten Moment schob sie das Geräusch auf den Wind, der irgendwo etwas gegeneinanderschlagen oder klappern ließ. Sie ging über die Steinplatten, auf denen ihre Schlappen klatschende Laute verursachten. Da war das Geräusch wieder – es klang, als würde Metall gegen Holz schlagen. Und da war noch etwas. Ein aufgeregtes Schreien.
    »Tibbs?«
    Vorsichtig näherte sie sich der nächsten Ecke; hohes Gras strich um ihre Knöchel. Das Geräusch war jetzt lauter. Wieder rief sie. Das merkwürdige Poltern hielt an.
    Sie war am Schuppen angelangt, einer Art Anbau am Cottage, in dem Gartengeräte untergebracht waren. Etwas schlug von innen gegen die Tür, der metallene Riegel klapperte, und als Abigail näher kam, wurde das Schreien lauter.
    »Tibbs, was ist los? Was hast du angestellt?«
    Sie zog an der Tür, aber die wollte zunächst nicht nachgeben; es schien, als würde jemand sie von innen zuhalten. Jetzt fühlte Abigail, wie die Tür vibrierte, während die Schreie im Schuppen noch lauter wurden. Mit aller Kraft riss sie an der Tür, und plötzlich ging sie auf. Dann sah sie ihren Kater Tibbs, der in der Luft zu hängen schien. Er wand sich, strampelte. Er war mit irgendetwas umwickelt.
    Ratlos machte sie einen Schritt nach vorn, um auf den Kater zuzugehen, aber im gleichen Moment blitzte etwas auf, begleitet von einem lauten Knall. Etwas Feuchtes traf sie im Gesicht, und etwas Kleines, Spitzes, das sie nach hinten taumeln ließ. Während sie das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte, wurde ihr klar, dass Tibbs nicht länger zu sehen war.

2
    Z unächst hörte ich nicht, dass mein Telefon klingelte.
    Ich stieg den steilen Hügel zu meinem Haus hinauf, das Kinn tief in den Schal gedrückt, um die Kälte abzuhalten, während sich meine Beine abmühten. Mein Morgenspaziergang bot mir eine kleine Pause vom Alltag, und ich konnte dabei die Streitereien zu Hause ebenso vergessen wie den langen Tag, der noch vor mir lag. Die frische, klare Luft in den Hügeln von Lancashire ließ mich wach werden. Sie war so wohltuend anders als in den von der Baumwollverarbeitung beherrschten Tälern, wo die riesigen Schornsteine die Städte mit ihrem Rauch überzogen und wo sich das Leben ganz auf die großen Backsteingebäude der Fabriken konzentrierte, die sich dicht an dicht am Kanal drängten.
    Mein Spaziergang diente aber nicht nur dem Zweck, mir den kalten Wind ins Gesicht wehen zu lassen. Im letzten Jahr hatte ich einfach zu viel Schokolade gefuttert, wir hatten uns zu oft und zu spät am Abend Essen liefern lassen und zu viel Wein getrunken. Wir hatten beide ganz schön zugelegt und uns gut aufeinander eingestellt. Vielleicht sogar etwas zu gut.
    Während ich weiterging, warf ich einen Blick über die Schulter und sah mir die Gegend an, die mich geprägt hatte: Turners Fold, eine alte Ansammlung von steilen Straßen, mit Pflastersteinen überzogene Narben inmitten von üppigem Grün, wie ein Museum, das längst vergessene Industrieanlagen ausstellte. Für mich war es aber mehr als das. Wohin ich auch sah, überall wurde ich an meine Kindheit erinnert. Dort der Park, in dem ich mich tapfer meinem ersten Kuss gestellt hatte, da das weitläufige Anwesen,
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