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Hexenblut

Hexenblut

Titel: Hexenblut
Autoren: Neil White
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abzuschütteln versucht; allerdings wirkte das neue Stadtzentrum schon jetzt veraltet. Es waren nicht viele Leute unterwegs, nur ein paar Schüler sowie Verkäuferinnen, die auf hohen Absätzen zur Arbeit stöckelten.
    Ich sah, dass Sam bereits auf mich wartete. Seine Kanzlei lag im ersten Stock über einem Kopiercenter, den Eingang bildete eine Glastür im Parterre, an der in goldenen Lettern sein Name prangte. Hier versammelten sich von Zeit zu Zeit seine Mandanten, weil es geschützt und warm war und weil man so leichter die Namen der Dealer austauschen konnte. Sams Ehefrau Helena fungierte als Türsteherin – eine Frau mit strohblondem Haar, dürren Armen und einer spitzen Nase. Sie war früher selbst einmal Anwältin gewesen, aber eine mehrjährige Kinderpause und zu hohe Promillewerte hatten dieser Karriere ein Ende gesetzt. Stattdessen kümmerte sie sich nun um den Papierkram und verwaltete das Geld, damit Sam sich ganz seiner Arbeit widmen konnte.
    Ich begrüßte Helen mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange. Ihre Haut fühlte sich kalt an, ihr Gesicht war blass.
    »Was macht das Geschäft?«, fragte ich.
    »Wie sagt man so schön? Verbrechen zahlt sich nicht aus.«
    »Wieso? Fehlen euch die Mandanten?«
    Ihr Lachen klang verbittert. »Mandanten zu bekommen ist kein Problem. Schwierig ist es nur, für die Arbeit auch angemessen bezahlt zu werden.«
    Ich erwiderte nichts, da ich mir vorstellen konnte, dass wir unterschiedlicher Ansicht waren, ab wann eine Bezahlung angemessen war. Stattdessen ließ ich mich von ihr am Empfang vorbei in Sams Büro führen, einen großen Raum, in dem sich nur ein Schreibtisch aus Holzimitat und ein paar abgewetzte Stühle befanden, die er bei der Auflösung eines anderen Büros günstig erstanden hatte. Auf dem Schreibtisch stapelten sich Akten, der dunkelblaue Blackstone’s, Sams bevorzugtes Nachschlagewerk, diente als Briefbeschwerer. Insgesamt strahlte der Raum Kargheit und Kälte aus. Sam Nixon & Co. hatten nicht genügend Mittel in die Firma eingebracht, um auch nur einen einzigen Gedanken an Luxus oder einen Hauch von Bequemlichkeit zu verschwenden.
    Als ich eintrat, stand Sam auf und hielt mir die Hand hin. »Hallo, Jack. Schön, dich zu sehen.«
    Ich schüttelte seine Hand und bemerkte die Müdigkeit, die sich hinter seinem Lächeln verbarg. Sam wirkte, als ob die Arbeit ihn ziemlich mitnahm. Er war nicht viel älter als ich, wir waren beide Mitte dreißig, doch seine Miene war von Sorge geprägt, sein Haaransatz rückte unerbittlich nach hinten, und der noch verbliebene Rest war grau meliert. Außerdem hatte er abgenommen, und unter den Augen waren deutliche Falten zu erkennen.
    Sam Nixon versorgte mich immer wieder mit Storys für mein Blatt, was sich gelegentlich auf ein knappes Nicken beschränkte, wenn er ins Gericht kam – ein Zeichen dafür, dass ein Fall es wert war, ihn genauer zu verfolgen. Was ich veröffentlichte, war für seine Mandanten zwar unangenehm, aber sein Name wurde auf diese Art regelmäßig in der Zeitung erwähnt, und das bescherte ihm ständigen Nachschub. Für mich war es nur mein Job, für ihn kostenlose Werbung.
    »Was macht Laura?«, fragte er.
    »Sie kümmert sich um die Leute, die über Nacht verhaftet worden sind.«
    »Das ist gut fürs Familienleben«, meinte Sam und nickte zustimmend.
    Ich lächelte und spielte für einen Moment den glücklichen Freund, da ich wusste, ich war nicht allein im Zimmer.
    Laura war Detective bei jenem Team der Blackley Police, das für über Nacht aufgelesene und in Haft genommene Einbrecher und gewalttätige Ehemänner zuständig war. Die Kollegen von der Nachtschicht lagen längst im Bett und schliefen, während Lauras Team sich um die aufgebrachten Festgenommenen und den Papierkram kümmern musste. Zwar bedeutete das für Laura geregelte Arbeitszeiten, aber es hieß auch, dass sie die meiste Zeit des Tages feindselige Gefangene tief unten im Zellentrakt des Polizeipräsidiums befragen musste, wo der Gestank der Zellen nach Schweiß und Erbrochenem sich an ihre Kleidung heftete.
    Was Sam anging, war ich skeptisch. Wenn ein Strafverteidiger mich als Erstes nach dem Befinden meiner als Polizistin arbeitenden Freundin fragte, dann klang das für mich, als wollte er sichergehen, sie nicht in seiner Nähe zu haben.
    »Du weißt ja, wie es in Blackley zugeht«, sagte ich. »Da wimmelt es von Verbrechern, die ihr mehr als genug Arbeit machen.«
    »Schieb die Schuld auf die Anwälte, die diese Verbrecher alle
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