Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt
Autoren: Ingeborg Engelhardt
Vom Netzwerk:
habe.« Diese Erkenntnis hatte dem Pater nichts genützt und auch den Hexen nicht. Er hatte sein Amt nicht weiter ausüben dürfen, und sein Buch, sein Gewissensbuch, mit Herzblut geschrieben, war ohne sein Wissen in einer unbedeutenden kleinen Universitätsstadt anonym gedruckt worden. Es hatte trotzdem Aufsehen erregt, gewiß, aber was vermochte das geschriebene Wort gegen den tobenden Wahn auf der Straße und im Gerichtssaal! Ja, hätte ich dich jetzt zur Seite, mein Freund! Aber du hast es vorgezogen, dein unersetzliches Leben, jedem geistigen Wirken entsagend, für fremde Pestkranke hinzuopfern.
    Nun, das Erreichte würdest du loben. Die neue Kirchenordnung für das Bistum enthält ein strenges Verbot jeglicher Hexenverfolgung durch Wort und Tat, auch des Schürens jeder Art von Aberglauben, sei es von der Kanzel oder im Beichtstuhl. Diese äußerst ärgerliche Druckschrift aber – er schleuderte sie beiseite – sollte alsbald eingezogen und ihr Vertrieb verboten werden. Das alles waren Anfänge, nicht mehr als erste Schritte. Aber das wachsende Licht der Erkenntnis mußte doch einmal, vielleicht schon bald zum hellen Tag werden, Vernunft und Menschlichkeit die Finsternis besiegen.
    Der Diener trat ein und meldete den Stadtschreiber Kilian Poscher, der zu Seinen Fürstlichen Gnaden bestellt sein wollte. Mit vielen Verbeugungen näherte sich ein kümmerliches Männchen, das alt wirkte, obgleich es kaum die Vierzig erreicht haben mochte. Dennoch war es einer der wohlhabendsten Bürger der Stadt. Durch eine vorteilhafte Heirat, noch mehr aber durch geschickte Käufe und Verkäufe von Häusern und Grundstücken, die während der großen Hexenprozesse billig zu haben gewesen, hatte der ehemalige Malefizschreiber sein Glück gemacht zu einer Zeit, als alteingesessene Bürger verarmt waren. Das ließ seinen Reichtum in einem schiefen Licht erscheinen. Zu gut wußte man, daß der Poscher seine Laufbahn als armer Waisenknabe begonnen hatte. Auch er vergaß das niemals. Sein unsicheres Auftreten verriet es auch jetzt.
    Der Bischof fragte nicht unfreundlich, ob es an dem sei, daß der Poscher seinerzeit bei den Hexenprozessen als Malefizschreiber Dienst getan habe.
    Der kleine Mann stutzte. Vorsichtig erwiderte er, für eine gewisse Zeit treffe das zu, wenn auch nur in sehr untergeordneter Position, eigentlich nur aushilfsweise und mit Widerwillen.
    Der Bischof hatte sich schon genauer informiert und verbarg kaum das spöttische Zucken unter dem Bart. »Widerwillen hin oder her! Immerhin hat Er, wie ich berichtet bin, einen wesentlichen Teil der Protokolle geführt, der Handschrift nach fast alles, was dieser Band da, der letzte, enthält. Da wird Er mir doch wohl einige Fragen über den Inhalt beantworten können. Denn für einen Dummkopf halte ich Ihn keineswegs, Poscher.« Er blätterte ein wenig herum und fuhr fort: »Es betrifft das Ende dieser Protokolle und damit wohl auch das Ende der Prozesse, um Weihnachten 1629. Da ist manches äußerst rätselhaft. Nachdem bis zuletzt jedes Verhör fast übergenau aufgezeichnet worden ist – sehr saubere Arbeit, Poscher! –, bricht das Protokoll mitten in der Befragung einer Malefikantin ganz unvermittelt ab. Hier scheint sogar ein Blatt zu fehlen oder gar mehrere. Kann Er mir das nicht erklären, Poscher?«
    Nein, antwortete der Stadtschreiber ohne Besinnen, das könne er durchaus nicht erklären. Nach so langer Zeit! Er habe keinerlei Erinnerungen an den Vorgang, und das könne ihm wohl niemand verdenken.
    »Vielleicht hilft es Seinem Gedächtnis ein wenig auf«, versuchte es der Bischof geduldig weiter, »wenn er sich vergegenwärtigt, daß es eins der letzten Hexenverhöre gewesen sein muß. Man weiß, daß die Prozesse damals nach Weihnachten nicht wieder aufgenommen und noch vor Lichtmeß 1630 ganz eingestellt worden sind. Vielleicht hat das abgebrochene Protokoll oder auch die verschwundenen Blätter etwas mit diesem plötzlichen Ende zu tun? Auch jene Frau, die Malefikantin, von der man kaum etwas aus den Akten erfährt, könnte von Bedeutung gewesen sein. Weiß Er nicht wenigstens ihren Namen?«
    Aber der ehemalige Malefizschreiber hatte gar keine Lust, über diese längst vergangenen Dinge auch noch nachzudenken. Noch bestimmter als vorher, in fast ungehörigem Ton, erklärte er, nichts zu wissen, nie etwas gewußt zu haben und sich an nichts zu erinnern. Was war er denn schon gewesen? Ein unbedeutender kleiner Gehilfe, nicht mehr als die Schreibfeder der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher