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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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immer noch die gleiche.
    Ingeborg Engelhardt

Der Erlaß
     
     
     
    In einer der armseligen Hütten der nördlichen Vorstadt, die mit ihren Höfen und Ziegenställen bis an den Rand der Weinberge hinaufkletterten, schrie in der Nacht ein Kind auf und fing an, jämmerlich und anhaltend zu weinen. Die Mutter stand, als das Zerren am Wiegenband nichts half, endlich auf, um den kleinen Schreihals unter sanftem Schütteln und Liedchensummen in der Stube herumzutragen, wie es von altersher bewährt ist bei solchen Anfällen von nächtlichem Aufschrecken, Zahn- oder Bauchweh. Der Rücken schmerzte der jungen Frau von der schweren Arbeit in den Weinbergen, die Kälte der Mainacht durchschauerte die bloßen Füße auf dem Lehmestrich und den Körper im groben Hemd. Aber ihr blieb nichts anderes übrig, sollte nicht das ganze Haus und die Nachbarschaft aus dem Schlaf geschrien werden. So schlich sie weiter auf und ab mit ihrem Eiapopeia.
    Nach einer Weile wunderte sie sich, wie hell es von draußen hereinschimmerte durch die fadenscheinige Leinwand, die vor dem Fenster hing. Sie hob das Tuch beiseite und schrak zurück vor der leuchtenden Pracht, die draußen über Hügel, Stadt und Strom ausgebreitet war. Hellgrün strahlte der Himmel mit dem grellweißen Mond hoch oben darin, der noch nicht ganz voll war, ein schiefes, böses Gesicht, jedoch so hell, daß die Weinstöcke lange, schwarze Schatten über den Boden warfen. Der aber und auch die krausen Reben an ihren Pfählen glänzten silbern wie verzaubert. Ja, verzaubert und verhext mußte die ganze Welt sein zu dieser Nachtstunde. Es tat nicht gut, aus dem Fenster zu sehen.
    Die Frau schob das Tuch rasch wieder vor, schauderte zusammen, legte das Kind, das eingeschlafen war, in die Wiege zurück und schlüpfte ins Bett, sich zu wärmen und den Kopf tief unter das Federbett zu stecken.
    Ein paar Stunden später wurde es Tag, ein leuchtendklarer Maimorgen, nur kälter als sonst um diese Jahreszeit. Als die Frau die Haustür öffnete, schrie sie laut auf. Der gleiche Schrei ertönte um dieselbe Zeit vor vielen Hütten dort oben am Rand der Weinberge, bald auch auf den Gassen und aus den Fenstern der Stadt. Jeder, der einen Blick auf die Weinberge tat, die rings im Kranz die Stadt umgaben, stieß ihn aus oder sprach ein Stoßgebet. Wo gestern noch junges Rebengrün geleuchtet hatte, hing das Laub schwarz wie versengt von den Ranken, vernichtet von einem Nachtfrost, wie er sich so spät im Jahr seit Menschengedenken nicht begeben hatte: an einem 27. Mai. Auch das Korn, das schon in Blüte gestanden hatte, war erfroren und eine Mißernte gewiß, noch schlimmer als in den letzten beiden Sommern. Wer hatte das verschuldet? Wie hatten die Unholden und Hexen so viel Macht gewinnen können? Warum hinderte sie niemand? Wo blieb des Bischofs geistliche und weltliche Macht?
    Indessen war Bischof Philipp Adolf durchaus nicht müßig gewesen in dieser wichtigen Frage. Schon früh hatte er die Zeichen richtig erkannt und seit seiner Inthronisierung vor vier Jahren schon manchen Scheiterhaufen in Brand gesetzt. Ständig lagen ein paar der Hexerei verdächtige Personen im Gefängnis. Denn Fürstliche Gnaden hegten gegen das Gelichter eine alte, wohlbegründete Feindschaft, deren Ursache nur er selbst kannte. Er haßte Hexen geradezu, aus dem gleichen Grund, aus dem manche Menschen noch im reifen Alter ein Schreckbild ihrer Jugend, einen bösen Lehrer oder eine Stiefmutter verabscheuen, ohne Vernunft, aber desto unversöhnlicher. Angesichts des allgemeinen Elends aber sah er ein, daß die läßliche Betätigung seines Hasses nicht genügte. Die Sache mußte anders, viel schärfer und planvoller angefaßt, ein regelrechter Krieg gegen das Höllengesindel entfesselt werden, das ja selbst in einer teuflischen Verschwörung verbunden war gegen Wohlstand und Gedeihen dieses Landes, ja, gegen die ganze Christenheit, wenn man gewissen Aussagen glauben durfte.
    Zu einem solchen Krieg war der Bischof nunmehr auch fest entschlossen und beauftragte seinen Kanzler, den hervorragenden Juristen Doktor Johannes Brandt – er hieß wirklich so! –, einen Erlaß auszuarbeiten, in dem Seiner Fürstlichen Gnaden unumstößlicher Wille, das Laster aller Laster gründlich auszurotten, allen Richtern und Amtsleuten kundgetan werden sollte. Zugleich sollte darin noch eine andere Maßnahme dargelegt werden, die dem weltlichen Nutzen des Stifts diente, die der Kanzler aber als heikel und schwer durchzuführen ansah.
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