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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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unterzeichnen. Aber noch einmal zögerte er, die eingetunkte Feder schon über dem Papier. »Was meint Ihr, Doktor, es wird Uns doch keiner unterstellen, Wir suchten etwas anderes bei dem harten Verfahren als allein die Reinigung des Landes vom Teufelsgeschmeiß der Hexen und Unholden?«
    Der Kanzler verzog sein ledernes Gesicht zu einer Grimasse, die ein Lächeln bedeuten sollte. Er wußte besser als sein Herr, daß die Güterkonfiskation ungesetzlich war. Aber wer den Kampf mit dem Teufel aufnimmt, darf nicht zimperlich sein.
     
     
    In einem Haus am Fischmarkt trat ein Mann näher zum Fenster, um im schwindenden Licht weiterzulesen in ein paar beschriebenen Blättern, die er in der Hand hielt. Es war eine wissenschaftliche Abhandlung, die ihm ein Studienfreund aus England zugeschickt hatte mit der Bitte, sie in Deutschland in Druck zu geben, wenn er es für möglich und ratsam halte. In England wage er es nicht, obgleich oder weil er Leibarzt des Königs sei. Die Schrift handelte vom Blutkreislauf im Körper von Tieren und Menschen, und den Leser fesselte ebenso die unerhört neue Entdeckung wie die knappe, einleuchtende Darstellung. Schon war er fest entschlossen, die Bitte des Freundes zu erfüllen. Nun aber wurde es draußen so dunkel, daß er nicht weiter lesen konnte, wiewohl es noch hoch am Nachmittag war. Er ließ die Blätter sinken. »So viel Licht!« seufzte er. »So viel Einblick in die Geheimnisse deiner Schöpfung, großer Gott! Warum nur hier diese Finsternis?«
    Ein Blitz erhellte das Zimmer. Fast gleichzeitig dröhnte der Donner in die enge Gasse herunter. Das Gewitter, das schon seit Mittag über dem Tal gedroht hatte, entlud sich. Regen schlug in Strömen gegen die Fensterscheiben. Aus dem Inneren des Hauses drang Gebetsmurmeln. Sicher kniete die Magd in der Küche vor der geweihten Kerze, mit zugehaltenen Augen, und die hellen Stimmen der beiden Töchter begleiteten ihr Gebet. Gegen den Blitz mochte das helfen, was aber half gegen das, was morgen kam – kommen mußte?
    Der Mann tastete sich zum Tisch, schlug Feuer und zündete die Lampe an. Er legte die Blätter zusammen, las aber nicht weiter. Den Kopf in die Hände gestützt, starrte er in das Flämmchen der Lampe, dem immer gleichen Kreislauf seiner Gedanken hingegeben: Was kann ich tun? Was darf ich tun? Darf ich es unterlassen, etwas zu tun?
    Das Gewitter ging so schnell, wie es gekommen war. Schon rollte der Donner in der Ferne. Nur der Regen strömte weiter, rauschte die Dachrinnen und Gossen herunter. Über den Flur kamen leichte Schritte, ein Lockenkopf schob sich durch den Türspalt: »Vater, die Abendsuppe ist fertig. Sollen wir auf die Mutter warten?«
    Er schrak auf. War Veronika noch nicht zurück? »Nein, eßt nur! Ich warte auf sie.« Die Tür schloß sich wieder. Seine Gedanken nahmen nun eine andere Richtung, Wo blieb sie? Bald nach Mittag war sie weggegangen, ohne zu sagen wohin. Das war nicht ungewöhnlich. Irgendeine Besorgung oder ein Besuch, und ganz gewiß nicht das, was sie wie in einer Laune bei Tisch angekündigt hatte, mußte sie fortgerufen haben. Nun aber waren schon Stunden vergangen, längst hatte die Vesper geläutet, und selbst wenn sie irgendwo das Unwetter abgewartet hatte, sie hätte längst daheim sein müssen.
    Gerade war seine Besorgnis so angewachsen, daß er sich aufmachen wollte, sie zu suchen, wenn auch ohne Ahnung, wo – da knarrte die Haustür. Sie trat ins Zimmer, durchnäßt vom Regen, die Spur eines Lächelns auf dem weißen Gesicht. »Hast du lange gewartet, Lieber?«
    »Wo bist du gewesen?« fragte er, voll vom aufgestauten Groll der überstandenen Sorge um sie.
    Noch immer lächelte sie. »Du weißt es ja. Warum fragst du?«
    »Bist du wahnsinnig?« Er flüsterte fast. »Ich hatte es dir verboten, und du bist dennoch gegangen?«
    Sie lehnte am Türpfosten und blickte ihn schweigend an, bleich, aber ohne ein Zeichen von Beschämung oder Trotz. Das reizte ihn nur noch mehr.
    »Ich denke verzweifelt nach, ob ich etwas tun soll oder kann und was. Aber du gehst einfach hin, geradewegs zu ihm selbst, wo doch jeder weiß, daß er hexengläubiger ist als jedes Köhlerweib. Was ist dir nur eingefallen? Du wirst das Unglück auf uns alle heruntergerufen haben, das ist alles.«
    Sie erwiderte leise: »Für das Kind hab’ ich gebeten. Ich weiß doch, wie dir das nahegeht.«
    »Und was hast du erreicht?« Es war kaum eine Frage. Sie schwieg. Dann sagte sie: »Er hat versprochen, uns zu schonen, und das
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