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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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gezeigt. Bruder Hieronymus, einst Doktor Johannes Dürr genannt, war nach Jahren schwerer Buße noch jung verstorben. So mußte wohl für immer darauf verzichtet werden, das Rätsel zu lösen, wie diese Prozesse so ungeheuer anwachsen und so plötzlich hatten aufhören können.
    Der Bischof schüttelte das fruchtlose Grübeln ab und läutete nach seinem Sekretär. Denn obwohl die Sonne sich schon neigte und das Land in tieferem Gold erglühen ließ, war der Tag noch lang genug für die Arbeit, die mehr des nüchternen Sinnes eines Hausvaters bedurfte als der Grübelei. Aus den Weinbergen am Fuß des Schloßbergs klang der Gesang junger Stimmen. Die Nonnen der heiligen Ursula mit ihren Schülerinnen waren dort bei der Lese. Die klare Luft trug die Worte des Liedes herauf:
    »Es ist ein Schnitter, heißt der Tod,
    Hat G’walt vom großen Gott,
    Heut wetzt er das Messer,
    Es schneidt schon viel besser.
    Bald wird er dreinschneiden,
    Wir müssen’s nur leiden.
    Hüt dich, schön’s Blümelein!«
     
    Das Lied war während der Kriegsjahre aufgekommen. Es gab Leute genug, die es mit gutem Grund nicht mehr hören mochten. Heute aber, in der herbstlich sonnigen „Stille, klang es versöhnlich, ein spätes Requiem für die vielen Hundert, die auf der andern Seite des Flusses, auf dem Sanderwasen den bitteren Tod gestorben waren. Ein scharfes Auge konnte noch die Spuren der Brandstellen im Wiesengrün erkennen.
    »Trutz, Tod, komm her, ich fürcht’ dich nit!
    Trutz, komm und tu dein Schnitt!
    Wenn d’Sichel mich letzet,
    So werd’ ich versetzet
    In himmlischen Garten,
    Darauf wir all warten.
    Freu dich, schön’s Blümelein!«
     
    Der Sekretär wollte das Fenster schließen, aber der Bischof wehrte ab. Ihn störte das Singen nicht. Es war ihm ein freundliches Zeichen des wiedererwachenden Lebens, der Zuversicht und Freude im Volk, dessen Wunden zu heilen er sich zur Pflicht erkoren hatte – mochten die Lieder auch traurig klingen. Als Stunden später der Sekretär wieder ging, den Arm voll erledigter Akten und diktierter Briefe, war es dunkel. Die Kerzen waren angezündet worden, die Fenster geschlossen. Aber noch immer war der Tag nicht zu Ende. Der Diener öffnete die Tür und ließ stumm, ohne Anmeldung, einen späten Gast herein. Der Bischof erhob sich rasch und straffte einen Augenblick den Rücken, ehe er sich höflich verneigte. »Ich habe Sie erwartet, Monsignore, wenn auch nicht so spät, nicht heute noch. Belieben Sie Platz zu nehmen!«
    Der Eingetretene ließ sich in den Sessel nieder, den ihm der Diener zurechtrückte, ehe er lautlos verschwand. Der Schein der Kerzen reichte nicht dorthin, wo er saß. Aus dem Zwielicht kam die Stimme des Fremden: »So sind Fürstliche Gnaden vorbereitet, und ich kann mir eine lange Einleitung sparen.«
    »Vorbereitet hatte mich niemand. Aber ich mußte wohl Ihren Besuch erwarten. Meine neue Kirchenordnung…«
    »Sehr wohl, besonders gewisse Bestimmungen über das Hexenwesen könnten zu Mißdeutungen Anlaß geben.«
    »Ich weiß, ich weiß das.«
    »Fürstliche Gnaden verbieten die Verfolgung der Hexen. Soll das heißen, daß die höllische Macht geleugnet wird?«
    »Wie könnte ich das wagen, Monsignore? Ich bin im Kriege gewesen, nicht als Priester, wie Sie wissen, sondern als Reiterobrist, mitten darin. Heimgekehrt, ist mir ein Land zur Heilung anvertraut worden, das fast zugrunde gerichtet ist, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch an Seele und Glauben seiner Menschen. Wie könnte ich daran zweifeln, daß höllische Mächte diejenigen lenkten, die das verschuldet haben!«
    »Und doch wollen Fürstliche Gnaden nicht vor allem die verfolgen, deren Verbindung mit dem Teufel ganz offenbar ist?«
    »Verfolgen wohl, wo es nötig scheint, aber anders, als es bisher geschehen ist. Sie wissen, was sich vor zwanzig Jahren hier begeben hat, und wenn Sie es nicht wissen sollten – da liegen die Akten, Ihrer Durchsicht empfohlen, und da liegt ein Flugblatt, erst kürzlich gedruckt, das jene Ereignisse heute noch rühmt. Neunhundert Gerichtete in drei Jahren, Monsignore! Das darf nicht wieder geschehen, das muß verhütet werden – jedenfalls solange ich Bischof bin. Mehr wage ich nicht zu hoffen.«
    »Wie aber wollen Fürstliche Gnaden anders des Teufels Herr werden als mit den bewährten Mitteln der Justiz? Wollt Ihr die von Grund auf ändern?«
    »Das käme mir wohl kaum zu. Jene grausamen Strafen haben ihren Zweck erfüllt in früheren, dunkleren Zeiten, als unsere heilige
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