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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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wurde, ging er zur Tür und prüfte, ob auch der Riegel vorgeschoben war, eher er weiterlas. Er fand ein kaiserliches Siegel an einer Vollmacht, ausgestellt für einen Doctor medicinae Sebastian Reutter. War das am Ende der Tote da draußen im Beinhaus?
    Der Pfarrer stützte den Kopf in die Hände. Zu spät, lieber Freund, dachte er. Ein paar Jahre früher hättest du Hunderte retten können, auch die Meinen, auch mich. Jetzt wärest du zu spät gekommen, auch wenn dir hier kein Halt geboten worden wäre. Der Bischof ist tot. Die Schweden haben überall die Hexenprozesse einstellen lassen – wenigstens ein Gutes, das sie gebracht haben! Wem soll nun all dies beschriebene Papier noch nützen? Im Gegenteil, wenn ich’s in die Stadt schickte, nach seinen Hinterbliebenen forschen ließe, das würde nichts als Ärger geben, vielleicht neue Verfolgungen, denn wer weiß, wie lange die Schweden bleiben! Einmal bin ich entkommen, zum zweitenmal darf ich’s kaum hoffen. Da gibt’s nur eins, Freund, so unrecht es sein mag.
    Im Morgengrauen erhob sich der Pfarrer mit schweren Gliedern, raffte die Papiere zusammen, trug sie zum Herd und verbrannte sie Blatt um Blatt in der schnell angefachten Glut. Dabei fiel ihm ein, daß in der Stadt früher ein Doktor Reutter gelebt hatte, ein angesehener Mann mit einer glücklichen Familie, mit schönen Töchtern, wenn er sich recht erinnerte. Ob der wirklich der Tote da draußen war? Aber damals war auch er selbst ein anderer gewesen, ein hoffnungsvoller junger Vicar am Domstift, und hatte dennoch vor der Verdächtigung als Hexengenosse fliehen müssen. Wer würde ihn heute wiedererkennen? Er zerstampfte die Reste der Siegel mit dem Schürhaken in der Asche. Dann trug er ins Kirchenbuch für den heutigen Tag die Bestattung eines unbekannten Toten ein.

Die offene Frage
     
     
     
    Wieder waren Jahre ins Land gegangen, und der große Krieg war aus. In einem Saal auf der Burg, dessen Fenster hoch über Stadt und Strom ins Weite blickten, stand ein neuer Bischof, schon der zweite nach dem Hexenbischof, wie Philipp Adolf im Gedenken des Volkes genannt wurde. Dieser neue war ein kräftig gebauter, noch junger Herr, sonnverbrannt und knebelbärtig, eher wie ein Reiteroffizier anzusehen, der er auch noch kürzlich gewesen war. Er blickte aus klaren, nüchternen Augen hinunter auf seine Stadt und die weithin ausgebreitete fruchtbare Landschaft in der strahlenden Helle eines Herbsttages. Hier aus der Höhe sah er nicht die Wunden, die der Krieg auch diesem Land geschlagen hatte, nicht die ausgebrannten Häuser, die wüst liegenden Äcker und Weinberge, nicht die Gesichter der Menschen. Aber er kannte das alles, und es brannte ihm auf der Seele.
    Und nun auch noch dies! Er hob wieder das Heft vor Augen, die Druckschrift, die ihm zugesandt worden war, nicht mehr als ein Flugblatt, »mit Bewilligung des Bischofs und des ganzen Domkapitels in Druck gegeben.« Das war noch mein Vorgänger, dachte er grimmig. Ich hätte niemals die Lizenz erteilt. Sehen sie denn nicht die Schande, für sich selbst, für unsern heiligen Glauben, für das ganze Zeitalter? Noch einmal fing er an zu lesen:
     
    »KURZER UND WAHRHAFTIGER BERICHT UND ERSCHRECKLICHE NEUE ZEITUNG
    von neunhundert Hexen, Zauberern und Teufelsbannern, welche der Bischof hat verbrennen lassen, und was sie in gütlicher und peinlicher Frag bekannt. Und haben etliche hundert Menschen durch ihre Teufelskunst um das Leben gebracht, auch die lieben Früchte auf dem Felde durch Reif und Frost verderbet, darunter nicht allein gemeine Personen, sondern etliche der vornehmen Herren, Doctores und Doctorsweiber, auch etliche Ratspersonen, alle hingerichtet und verbrannt worden. Welche so schreckliche Taten bekannt, daß nicht alles zu beschreiben ist, die sie mit ihrer Zauberei getrieben haben, werdet ihr hierinnen allen Bericht finden.«
     
    Unnötig weiter zu lesen! Der Bischof warf das Heft auf den Tisch. Immer der gleiche Wahnsinn, und noch zwanzig Jahre danach drucken sie’s, als wär’s des Gedenkens würdig. Oder soll der Wahn von neuem geweckt werden? Gott steh mir bei, das zu verhüten!
    Er dachte an seinen verstorbenen Freund, den Pater Friedrich. Der wäre jetzt sein bester Helfer gewesen. »Warum sind Eure Haare so früh ergraut, ehrwürdiger Vater?« hatte er als blutjunger Chorherr einmal seinen Lehrer gefragt und die Antwort erhalten: »Darum, weil ich so viele Hexen zum Scheiterhaufen geleitet und ihrer nicht eine schuldig befunden
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