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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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wer treibt dann sein Spiel mit uns irrenden Menschen, daß wir des Teufels Werke tun, ohne es zu wissen, im Glauben, Gott zu dienen? Und das Mal auf seiner Schulter, der Kummer seiner Mutter und ihm selbst immer ein unheimliches Rätsel, war es wirklich ein Brandmal des Teufels, ohne daß er es je geahnt hatte?
    Es ist nicht verbürgt, ob diese Zweifel so schwer waren, daß sie seine Lebenskraft erschütterten und seinen Tod herbeiführten, der unerwartet im folgenden Sommer eintrat. Die Ärzte befanden bei der Sektion der Leiche: »als die Lunge meistenteils zerfahren, sieben Stein in der Leber und das Herz zu groß befunden, neben zweien beschwerlichen Brüchen und Leibschaden.« Nicht in den Befund aufgenommen wurde etwas, das sie nur stumm einander wiesen: ein Mal auf der linken Schulter, schwarz und behaart, so groß wie eines Mannes Daumenabdruck. Es war wohl klüger, nicht davon zu reden und dem frommen Fürsten und eifrigen Hirten die Ruhe zu gönnen.
     
     
    Der Ratsherr zum Stere hatte schon früh, noch im alten Jahr, von der Kanzlei vertrauliche Mitteilung erhalten, er möge ohne viel Aufsehen seine beiden Kinder aus dem Spital abholen, wo sie gefangengehalten wurden. Er beeilte sich, dem Rat zu folgen, fragte nichts und nahm in der Abenddämmerung des Tages der Unschuldigen Kindlein an der Almosenpforte des Spitals seine beiden Töchterchen in Empfang, wider seinen Willen unter Tränen. Sein Zorn war längst vergangen im Gram über seine Verlassenheit. Er konnte nicht einmal Nachforschungen anstellen nach dem Verbleib seiner Frau, um sie nicht wegen ihrer Flucht in Verdacht zu bringen. Nur die Kinder waren ihm geblieben. Mit Hilfe der Magd, die ihn begleitet hatte, trug er sie, in warme Decken gehüllt, heim.
    Sie waren ganz vergnügt, denn sie waren im Spital freundlich behandelt worden und noch nie im Leben mit soviel Kindern beisammengewesen wie dort. Sie wurden nicht müde, von ihnen zu erzählen und die Liedchen zu singen, die sie von ihnen gelernt hatten – von ein paar Gauklerkindern, die ihnen mit ihren Possen die Zeit vertrieben hatten, ehe sie, noch in letzter Stunde, den Weg zum Sanderanger hatten antreten müssen. Aber das wußten die kleinen Steres nicht.
    Der Ratsherr hatte bei der Heimkehr Fragen und lautes Jammern nach Mutter und Brüderchen erwartet. Aber auch diese Sorge wurde von ihm genommen. Ein Bote aus dem entfernten Dorf, in dem die Weinberghütte stand, erwartete ihn mit der Nachricht, daß seine Frau mit dem Söhnlein wohlbehalten auf dem Hof eines Bauern lebe und darum bitte, heimgeholt zu werden, sobald es dem Ratsherrn gut scheine.
    Warum er denn die tröstliche Nachricht nicht längst gebracht habe, fuhr er, wiewohl trunken vor Freude, den Burschen an. Der wußte es nicht besser. Die alte Frau aus dem Weinberg habe es so bestimmt, sagte er. Nach Weihnachten erst, aber noch vor Neujahr, sollte dem Ratsherrn die Nachricht gebracht werden. Wo die Alte denn jetzt sei, fragte der zum Stere in der unbehaglichen Ahnung, daß er die Schwiegermutter nun wohl auch auf dem Halse haben werde. Aber der Bote wußte nur, daß sie zu einer langen Wallfahrt aufgebrochen sei. Mitten im Winter? Ja, fünf Tage vor Weihnachten. Der Ratsherr belohnte den Boten reichlich und machte sich gleich am nächsten Morgen mit ihm auf den Weg, zu Pferde, während er die Kutsche für Frau und Kind folgen ließ. Sie war zu langsam für seine Ungeduld. Am letzten Tag des Jahres führte er Jakobe und den Sohn wieder heim in sein Haus. Es war ein großer Freudentag für alle. Auch die alte Sterin schloß sich dabei nicht aus. Denn schließlich wäre es auch für das Haus keine Ehre gewesen, wenn es Teufelsbälger hervorgebracht hätte.
    Jakobe aber war nicht so fröhlich, wie sie nach der Meinung aller hätte sein müssen. Schon auf der Heimfahrt hatte sie ihren Mann mit Fragen bestürmt, ob er nicht wisse, wo die Mutter geblieben sei. Hatte niemand sie hier in der Stadt gesehen?
    Der Ratsherr, der in diesen Tagen Geduld gelernt hatte, bewies ihr immer von neuem, daß die Doktorin Reutter, einmal aus der Stadt geflohen, nichts Dümmeres hätte tun können, als hierher zurückzukehren, wo jedermann sie kannte. Es habe sie auch niemand gesehen, und wo und warum sollte sie sich versteckt halten? Jakobe konnte vor fließenden Tränen nicht antworten.
    Später, als die Prozesse so plötzlich aufhörten, forschte ihr Mann heimlich nach der Ursache, aber auch er erfuhr nichts. Nur wenige wußten Bescheid, und die
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