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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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immer sein werde. Gleich darauf erfuhr Jakobe den schwersten Schlag ihres Lebens, trotz allem, was sie schon durchgemacht hatte. Ihr Sohn, der letzte zum Stere, knapp fünfzehn Jahre alt, teilte ihr mit, daß er sich habe anwerben lassen und mit dem Regiment ziehen werde. Die Mutter weinte und hielt ihm alles vor, was gegen ein solches Vorhaben sprach. Er sei doch immer ein gehorsamer Sohn gewesen, dazu ein guter Schüler, und die Ratsherrnwürde seines Vaters und Großvaters sei ihm jetzt schon sicher. Die einzige Stütze der Mutter und seiner armen Schwestern sei er. Auch hätte sie kein Geld, ihm ein Offizierspatent zu kaufen. Wolle er denn seine ehrbare Herkunft und seine guten Gaben als gemeiner Soldat auf den Heerstraßen verschleißen?
    Der Bub lachte nur und meinte zuversichtlich, ein gemeiner Soldat werde er nicht lange bleiben. »Wer Mut hat, dem stehen alle Wege offen, sagt die Sabine.«
    »Wer?« fragte die Mutter scharf.
    »Ach, diese neue Muhme. Die ist ein Teufelsweib und wird mir schon weiterhelfen.«
    Da schlug ihr Schmerz in Zorn um. »Das hat sie nur mir zum Tort getan und will mir noch einreden, sie könnte nicht hexen!«
     
     
    Während seine Töchter noch für ihn hofften, hatte sich auch Sebastians Schicksal längst vollendet.
    Jahre nach seinem Fortgang, als Bischof Philipp Adolf schon gestorben, sein Nachfolger geflüchtet und die Schweden Herr im Lande waren, fand ein Gastwirt eine gute Tagesreise ostwärts der Stadt und unweit des Dorfes, in dessen Weinbergen eine einst bewohnte Hütte langsam verfiel, in seiner Scheune einen alten Mann tot auf. Er hatte am Abend zuvor im Wirtshaus um ein Nachtquartier angesprochen. Der Wirt hatte es ihm verweigert, weil der Alte gar so armselig, zudem aber krank und fiebrig aussah. Wer zog sich gern eine Seuche ins Haus! Nun war er wohl draußen in die Scheune gekrochen und da in der kalten Herbstnacht erfroren, obgleich Laubstreu genug dalag, womit er sich hätte zudecken können. Aber dazu war er wohl zu matt gewesen oder eben zu krank. Jedenfalls konnte er da nicht liegen bleiben. Der Wirt bezwang seine Angst vor Seuchen, schlich näher heran und sah nun etwas, das ihn versöhnlicher stimmte gegen den ungelegenen Toten.
    Schon am Abend vorher war ihm der schwere Mantelsack aufgefallen, mit dem sich der Alte abgeschleppt hatte und dennoch vorgab, weder Geld noch Geldeswert bei sich zu tragen. Nun sah er, daß der Tote mit Kopf und Armen darauf ruhte und mit wächsernen Händen noch die Tragriemen umklammert hielt wie ein kostbares Besitztum. Den Wirt durchfuhr es, daß hier vielleicht die Vergütung für ein christliches Begräbnis und noch etwas mehr zu holen sein könnte. Er brach die starren Finger auseinander, zerrte den Mantelsack unter dem Toten hervor und öffnete ihn gierig.
    Er wurde enttäuscht. Nur Papier, lauter beschriebenes Papier quoll hervor, freilich mit großen Siegeln an seidenen Schnüren beschwert, also wahrscheinlich wichtig für irgend jemand – aber kein einziges Geldstück. Der Wirt wollte gerade alles in den Ranzen zurückstopfen, als ihm einfiel, auch solche Schriftstücke könnten vielleicht bares Geld bedeuten, wenn jemand sie zu lesen und richtig zu nutzen verstand.
    Er schickte nach dem Pfarrer, einem noch jungen, schweigsamen und düsteren Menschen, erst seit wenigen Jahren der Gemeinde zugeteilt. Der gab Anweisung, den Toten zum Friedhof zu schaffen und ein Grab für ihn auszuheben. Dann fing er an, in den Papieren zu blättern, und murmelte:
    »Alles Latein, gelehrte Abhandlungen scheint’s. Ladet das Zeug auf eine Schubkarre und fahrt es mir ins Haus! Verliert aber kein Blatt, hört Ihr?«
    Die Augen des Wirtes blinzelten listig. »Ist’s wichtig? Da könnten wohl wir beide profitieren?« Denn ihn plagte schon die Angst, der Pfarrer könnte allein den Gewinn einheimsen. Der aber lachte unfroh: »Profitieren? Seid zufrieden, Mann, wenn’s Euch keinen Schaden bringt!«
    In dieser Nacht sahen die Dörfler lange Licht brennen in der elenden Hütte, die ihr Pfarrhaus war. Der Pfarrer saß über dem Nachlaß des unbekannten Toten und nahm sein halbvergessenes Latein zusammen, um zu verstehen, was da an Gelehrsamkeit vor ihm ausgebreitet lag: Gutachten der Hochschulen zu Basel, Straßburg, Leiden, Briefe, unter denen berühmte Namen standen: Helmont, Kepler, Bernegger. Alle aber handelten von Hexen, genauer, waren gegen die Hexen und gegen die Prozesse gerichtet, mit denen man sie bekämpfte. Als dem Pfarrer das klar
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