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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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schwiegen aus guten Gründen. In einer ungewissen Ahnung befragte Jakobe Augenzeugen nach der fremden Hexe ohne Namen. Aber was sie hörte, ließ sie wieder verzagen. Nein, so hatte die Mutter nicht ausgesehen, das konnte sie nicht gewesen sein. So verlor sich die letzte Erdenspur der Unbekannten in der Verwirrung von Gerüchten und Vermutungen – ganz wie sie es gewollt hatte.
     
     
    Noch viele Jahre wartete Jakobe auf die Heimkehr der Mutter, horchte auf jedes unvermutete Klopfen an der Haustür und beschenkte jeden Bettler reich in der Hoffnung, es werde durch himmlische Vergeltung der Verschollenen zugute kommen. Eine Stube und ein frisch bezogenes Bett standen immer für sie bereit.
    Inzwischen ging der Krieg weiter mit Brandschatzungen und Plünderungen, die erst jetzt das Land mit voller Schwere trafen. Wie viele andere verarmte auch der Ratsherr zum Stere und starb eines frühen Todes an einer der Seuchen, die niemand mehr mit Namen kannte oder zu bekämpfen vermochte. Bis zuletzt hatte er noch versucht, das Haus des Schwiegervaters zu halten. Aber er hatte es schließlich verkaufen müssen, an den Malefizschreiber, der wie viele in ähnlichen Ämtern damals zu Vermögen kam. Jakobe behielt von allem Besitz nur das große Haus und brachte sich und ihre Kinder durch, indem sie die besten Stuben an vornehme Leute vermietete, an Geistliche und hohe Offiziere, auch an durchreisende Gesandte.
    Eines Tages aber schien das Ende gekommen. Plündernde Soldaten hausten im Untergeschoß. Das Krachen aufgebrochener Türen und Schränke klang gräßlich herauf in die Dachstube, wo Jakobe ihre Kinder zitternd umschlungen hielt, die beiden hübschen, fast erwachsenen Töchter und den jungen Sohn. Wenn ihr die drei nur blieben, die drei und das nackte Leben! Plötzlich wurde es unten still, so plötzlich still, daß die Lauschenden oben eher erschraken. Dann war eine Frauenstimme zu hören. Jakobe zuckte zusammen. Sie ließ die Kinder los und schlich zur Treppe. Unten im Flur stand ein rankes Weibsbild im Soldatenrock, Reiterstiefel unter dem aufgeschürzten Rock, einen Filz mit großer Feder auf kastanienroten Locken. Befehlend wies sie zur Haustür. »Laßt euch nicht wieder hier blicken, dies ist mein Quartier!«
    Jakobe stockte der Atem beim Klang der Stimme. Das Weib drehte den Kopf und spähte die Treppe hinauf. Jakobe glaubte die Mutter zu sehen, erkannte aber sogleich den Irrtum. »Sabine!«
    Da flog die schlanke Gestalt die Stufen herauf, schleuderte den Hut fort und warf die Arme um sie. »Jakobe! Daß du noch lebst, wenigstens du!« Sie weinten beide und konnten lange kein Ende damit finden.
    Dann saßen sie am warmen Ofen in einer der Dachkammern, die Jakobe noch bewohnte, vor einem Krug Wein, Brot und Schinken, die Sabine geholt hatte, »‘s ist von meinem Eigenen, ihr könnt’s ruhig nehmen. Ich bin Marketenderin.« Aber die jungen Steres, so ausgehungert sie waren, vergaßen fast das Zulangen über dem Anstarren dieser unvermuteten Tante, eines sonnverbrannten, quicklebendigen Wesens, das ganz ohne Alter schien, die rauhe Sprache der Soldaten redete und von der Mutter doch so zärtlich umhalst wurde.
    Später fragte Sabine: »Und die Eltern? In unserm Haus wohnen Fremde.« Jakobe berichtete das Wenige, was sie wußte: wie der Vater gleich nach der Flucht der Schwestern das Haus dem Ratsherrn verpfändet habe und mit der Mutter fortgezogen sei. Daß sie sich getrennt hatten, und die Mutter nur eine Tagreise entfernt in der Weinberghütte der Muhme lebte – »weißt du noch? Wir kamen niemals hin« –, das hatte Jakobe erst später von ihrem Mann erfahren. Sie hatte aber die Mutter niemals besuchen oder ihr Nachricht und irgendwelche Beihilfe schicken dürfen, um ihrer eigenen und ihrer aller Sicherheit willen, wie der Ratsherr gesagt hatte. Eines Tages war ihr dann diese Kenntnis des Zufluchtsorts zugute gekommen.
    »Und der Vater?« Über ihn wußte Jakobe noch weniger. Ihr Mann hatte gemeint, der Doktor sei wohl unterwegs, um sich an einer der großen Universitäten zu bewerben, wie es immer sein Wunsch gewesen war. In der Stadt hätte er doch nicht mehr bleiben können, nachdem seine Töchter in Hexenverdacht geraten und geflohen waren. Gehört hatte man nie wieder von ihm. Aber war das verwunderlich bei den Zeitläuften? Es konnte ihm inzwischen auch ganz gut gehen.
    »Und die Mutter?« fragte Sabine weiter. Jakobe erzählte von der Verhaftung der Kinder, von ihrer Flucht, von dem halb geträumten
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